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„Da glühen dann die Gesichter“

Die Leuchtreklame „Disco Duck“ über dem Zugang zu der kleinen Kellerdiskothek ist demoliert, die bunte Glasfront der „Spielothek“ zwei Häuser weiter schon mehrmals mit aufgeklebten Glasplatten geflickt. Spuren einer wochenlangen Auseinandersetzung zwischen deutschen und türkischen Jugendlichen im Zentrum Hannovers. Ein Trupp von angetrunkenen Deutschen mit Stoppelhaarschnitt zieht, vorbei am Eingang der weiträumigen Spielhalle, krakelend auf die Disco zu. Tossi, ein durchtrainierter junger Türke, der an der Tür Wache schiebt, alarmiert seine Kameraden drinnen. Aber für heute bleibt es bei Drohgebährden. An diesem Freitag hat die Polizei auf der anderen Straßenseite nämlich einen Kleinbus postiert. „Die Skinheads mit ihrem Ausländer–Raus wollen uns einfach weg haben“, sagt Tossi, „aber die sind auch feige, und wir können von den Kneipen da drüben schnell ein paar Hundert Türken her bringen.“ Schon an vier, fünf Wochenenden passiere hier immer dasselbe, klagt die blonde Geschäftsführerin der Spielhalle: „Wenn es losgeht, hauen wir ab ins Kassenhäuschen. Am Ende wird hier noch einer abgestochen.“ Daß hier bald die Messer gezückt werden, befürchtet auch der Angestellte, der im Keller vor dem „Disco Duck“ die vier Mark Eintritt kassiert. Links und rechts Theke, drei Flipper und in der Mitte zwanzig Quadratmeter Tanzfläche; dreißig Skins, ein paar Jugendliche mit Rockabillie– Frisur, in der Mehrheit aber biedere „Normalos“ stehen rum oder rocken zu stampfender Musik ab. Hier gibts Samstag–Nacht–Fieber auf die preiswerte Art, Bier ist das Getränk, Verzehrbons für zwei Kleine erhält man für das Eintrittsgeld. Für die harten Fascho–Skins war das „Disco Duck“ schon ein Treff, als ihr Kamerad Gerd Roger Bornemann noch lebte. Auch seine drei Kumpel, die ihn im Stadtwald Eilenriede zu Tode quälten, verkehrten hier. Doch alle Schlagzeilen, die der „Fememordprozeß“ in den letzten beiden Monaten produzierte, haben die harte Skin–Szene in Hannover nicht beeindruckt. Vor sechs Wochen demolierte ein Trupp von zwanzig Skins im hannoverschen Stadteil Linden die Kneipe „Exil“. Einziger Grund: im „Exil“ verkehren Farbige, die Inhaberin ist mit einem Farbigen verheiratet. Zwei Wochen später folgte der erste Überfall auf die Spielothek und wiederum 14 Tage danach kam es vor dem „Disco Duck“ zu einer regelrechten Massenschlägerei. Dem Türken aus der Spielothek standen dabei nicht nur Skins, sondern ein großer Teil des gemischten Disco–Publikums gegenüber. Mit Konflikten wie vor dem „Disco Duck“ hat sich der Sozialarbeiter Peter Eissler - er ist Streetworker und zugleich „Koordinator für Jugendschutz und Straßensozialarbeit“ bei der Stadt Hannover - immer wieder zu befassen. „Im Frühjahr“, so sagt er, „hatten wir ähnliche Auseindersetzungen im Stadteil Döhren.“ Das Jugendzentrum dort wurde damals vorwiegend von türkischen Jugendlichen besucht, während einzelne Cliquen von deutschen Jugendlichen ihre Treffs an bestimmten Plätzen im Freien hatten. Diese scheinbare Bevorzugung der Ausländer, so erläutert Eissler, habe dann die FAP (“So weit sind wir schon gekommen!“) zur Agitation benutzt. Überall im Stadtteil klebten sie ihre ausländerfeindlichen Zettelchen (“Spuckis“). Türkische Besucher des Jugendzentrums wurden angegriffen und verprügelt. Die Reaktionsweise der Öffentlichkeit in solchen Situationen ist für den Sozialarbeiter immer wieder hilflos: „Die CDU ruft nach mehr Polizei, die SPD nach den vier städtischen Straßensozialarbeitern, und die Jusos schreiben antifaschistische Resolutionen. Es gibt aber niemanden, der sich auf der Straße den zehn Neonazi– Agitatoren argumentativ entgegenstellt.“ In der Südstadt stellte sich schließlich eine zwanzigköpfige Clique den Rechtsradikalen - allerdings anders. „Das waren deutsche und türkische Typen und Frauen, die sich an uns gewandt haben“, weiß Wilfried von der hannoverschen Antifa–Initiative zu berichten. Die hätten dann am Stephansplatz eine ganze Gruppe von Rechten ziemlich aufgemischt. Auch den hannoverschen Antifas, die die Nazi–Szene seit Jahren aufmerksam beobachten und akribisch alle Materialien katalogisieren, ist klar, daß die militanten Neonazis in Hannover immer noch eine relativ kleine Gruppe sind. Organisiert bei der FAP, so schätzen sie, sind hier wohl vierzig bis fünfzig Leute, von denen meist aber nur noch die jüngeren als Skinheads rumliefen, meint Wilfried. Von den 150 hannoverschen Skinheads sei ein Drittel den harten Neonazis zuzurechnen, ein weiteres Drittel sei von den Nazis für Prügeleien mobilisierbar. Darunter seien viele 15– bis 18jährige Neue, die ziemlich hart drauf seien. „Die springen noch drauf und hauen zu - egal, ob die Bullen kommen.“ Mit den Skinheads, so sagt der Sozialarbeiter Peter Eissler, haben die organisierten Neonazis erstmals eine jugendliche Musik– und Subkulutur für sich vereinnahmen können. Die ausländerfeindlichen Vorurteile, die die jungen Skins mitbrächten, würden sich nicht von denen der anderer Bundesbürger unterscheiden. Die Neonazis böten diesen Jugendlichen nur einfach die Möglichkeiten. „Und da erleben die dann Stärke, Kameradschaft. Man läuft nicht weg, man labert nicht rum, da glühen dann die Gesichter der Jugendlichen“, sagt Peter Eissler und fügt hinzu: „Sozialarbeit hat da keine Eingriffsmöglichkeit mehr.“ Ähnlich beschreiben die Angeklagten im Bornemann–Prozeß ihren Weg in die Skinhead–Szene. „Ich habe mir gedacht, daß es in Deutschland extrem viel Ausländer gibt“, sagte der Angeklagte Hans–Jürgen Sch. in seiner Vernehmung. Den Skins habe er sich angeschlossen, „weil die sich nichts gefallen lassen“. Daß es in der hannoverschen Jugendszene in den letzten drei Jahren eine Trendwende gegeben hat, mußte inzwischen selbst die Staatsanwaltschaft registrieren. „Früher“, so sagt Hannovers Polit–Staatsanwalt Nicolaus Borchers, „hatten wir kaum Strafsachen im rechtsradikalen Bereich, da ging es fast nur um Straftaten Linksradikaler.“ Doch in den letzten zwei, drei Jahren habe sich das Verhältnis genau umgekehrt. Rund 150 verschiedene Namen umfaßt eine Liste der Rechtsradikalen, mit denen sich die hannoversche Staatsanwaltschaft bei Ermittlungsverfahren in den letzten zweieinhalb Jahren befaßt hat. Die Situation vor dem „Disco Duck“ hat sich am letzten Samstag erst einmal „geklärt“. Mit Gaspistolen gingen die Skinheads und türkischen Jugendlichen an diesem Abend aufeinander los. Die Polizei, die schnell am Ort war, geriet mitten in den Gasnebel. Zwei türkische Jugendliche wurden vorübergehend festgenommen. Der Wirt des „Disco Duck“, ein Mann mit der Figur eines Gewichthebers, hat den Skinheads Hausverbot für seinen Keller erteilt. Die wollen sich nun eine andere Disco suchen.

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