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DOKUMENTATIONZukunft aufbauen statt über Vergangenes zu grübeln

■ Helmut Kohl und Jan Krzysztof Bielecki: Der Vertrag zieht die richtigen Schlüsse aus der schmerzlichen Vergangenheit

Bonn (dpa) — Wir bringen Wortlaut-Auszüge aus den Reden der Regierungschefs Helmut Kohl und Jan Krzysztof Bielecki, die sie vor der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrags hielten. Zunächst

Helmut Kohl:

Eingedenk der leidvollen Vergangenheit richten wir mit diesem Vertrag die Beziehungen Deutschlands und Polens aus auf eine gemeinsame Zukunft in einem Europa des Friedens, der Freiheit und des Rechts, der guten Nachbarschaft und der engen, partnerschaftlichen Zusammenarbeit...

Wir bekennen uns mit dem Vertrag [...] zur Tradition des friedlichen Zusammenlebens und des fruchtbaren Austauschs, insbesondere in Kultur und Wissenschaft, zwischen unseren Ländern und Völkern. Diese Tradition hat lange Jahrhunderte unsere gemeinsame Geschichte geprägt. Weder Krieg noch Leid, weder Hybris noch ideologische Verblendung konnten diese Tradition auslöschen: denn hinter ihr stand die Idee der gemeinsamen Freiheit! Das wußten die deutschen, polnischen und französischen Patrioten, die in einer schweren Stunde der polnischen Geschichte auf dem Hambacher Fest 1832 die Parole ausgaben: Ohne Polens Freiheit keine deutsche Freiheit, ohne Polens Freiheit kein dauerhafter Friede, kein Heil für die europäischen Völker [...]

Im Geist des neuen Europa regeln wir auch eine Frage, die uns lange Jahre bedrückt hat: die Frage der Minderheit. Selbst wer nur die Spanne der Nachkriegszeit überblickt, weiß, was es bedeutet, daß die deutsche Minderheit in Polen erstmalig förmlich anerkannt wird und daß ihre Entfaltung in ihrer angestammten Heimat nach europäischem Rechtsstandard gesichert, erleichtert und gefördert wird [...]

Jan Krzysztof Bielecki:

[...] Dieser Vertrag schafft neue rechtliche und politische, doch nicht weniger auch moralisch-ethische Grundlagen für den Aufbau der dauerhaften Verständigung und Versöhnung zwischen Polen und Deutschen. Er stellt einen wichtigen Akt in der über tausendjährigen Geschichte der polnisch- deutschen Nachbarschaft dar. In der Vergangenheit war dies eine komplizierte Nachbarschaft, in der sowohl die Perioden der harmonischen Zusammenarbeit oder sogar der Freundschaft als auch die Perioden der Kriege und der Annexion nicht fehlten. Insbesondere der letzte Weltkrieg, entfesselt durch die nationalsozialistische Aggression gegen Polen, brachte dem polnischen, aber auch dem deutschen Volk ein Unmaß von Leid und Elend. Mit der Vergangenheit, sogar der schmerzlichsten und der tragischsten, muß man leben können, aber man muß aus ihr auch richtige Schlüsse für konstruktive, der besseren Zukunft dienende Tätigkeit ziehen [...] Ich habe den Eindruck, [...] daß auf diesen Augenblick viele Generationen von Polen und Deutschen warteten, die fest davon überzeugt waren [...], daß das tragische Erbe der Vergangenheit, insbesondere die letzten beiden Jahrhunderte der deutsch-polnischen Geschichte, zur Geschichte wird [...] Doch die wirklichen Beziehungen zwischen uns hängen von den jungen Polen und Deutschen ab, die, anstatt über unsere komplizierte Vergangenheit nachzugrübeln, sich die Mühe machen, die Zukunft tagtäglich mühsam aufzubauen.

Der Tag der Unterzeichnung des Vertrages [...] weist auf die Logik der Geschichte hin. Ich weiß, daß der 17. Juni für Deutsche ein besonderer Tag ist. Denn es war der Tag des Sturmes gegen die Unterjochung und ein Tag des Sturmes für die Freiheit [...]

Es gibt auch einen konkreten Ausdruck [...] in den zahlreichen Bestimmungen des Vertrages, insbesondere im Hinblick auf die Rechte der deutschen Minderheit in der Republik Polen und der Polen in der Bundesrepublik Deutschland [...] Der Vertrag geht hier sehr weit. Die zeitgenössische völkerrechtliche Praxis kennt nur wenige solche Verträge. Die gleiche Befolgung der Rechte und der Pflichten im Namen der Verständigung und der Versöhnung stellt einen gemeinsam abgesteckten Weg dar.

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