DKP-Parteivorstand entdeckt die Perestroika

Nach hohen parteiinternen Wahlniederlagen begibt sich der Vorstand der Kommunistischen Partei auf die Flucht nach vorn / Es darf über die Krise der Partei geredet werden / „Schlüsselfrage Meinungspluralismus“ / Den Reformern soll das Wasser abgegraben werden  ■  Von Reiner Scholz

Berlin (taz) - Mit einer Riesenüberraschung endete am letzten Wochenende die mit Spannung erwartete 14.Sitzung des Parteivorstands der DKP. In seinem zuvor im Zentralorgan 'Unsere Zeit‘ abgedruckten Grundsatzreferat schlug sich der Parteivorsitzende Herbert Mies voll auf die Seite der Reformer und kündigte einschneidende Änderungen an: Präsidium und Sekretariat, die Wasserköpfe der Partei, sollen von 24 auf 18 Mitglieder verkleinert werden, wobei die Bezirksvorsitzenden rotieren (!) könnten.

Die Debatte um das neue Programm „Bundesrepublik 2000“ wird auf die Zeit nach dem alles entscheidenden Parteitag im Januar nächsten Jahres verschoben. Statt dessen soll jetzt verstärkt über die Krise der Partei geredet werden dürfen, wobei „Meinungspluralismus (!) und einheitliche Entscheidungsverwirklichung“ die „Schlüsselfragen“ sind. Darüber hinaus entschied der Parteivorstand, daß ein eigenständiger Arbeitsbereich „Ökologie“ eingerichtet und der aufmüpfige Bereich „Jugend“ wieder autonom wird. Nachdem auf der letzten Vorstandstagung Mitte September der Kampf zweier Linien offen entbrannt war, schien die Harmonie diesmal fast gespenstisch. Plötzlich war sogar die besonders SED-nahe Genossin Ellen Weber für eine Frauen-Quotierung. Selbst Oberschiedsrichter Otto Hans, einer der innerparteilich gefürchteten Hardliner, hatte sich ein neues Gewand übergezogen. Er gestand zur Überraschung aller zu, daß „es in der Vergangenheit fehlerhafte Entwicklungen gegeben hat“. Er schlug vor, die Schiedskommission solle zukünfig gegenüber dem Vorstand und dem Parteitag rechenschaftspflichtig sein. Das wäre ein absolutes Novum in der Geschichte deutscher Kommunisten, bei denen noch immer „Schiedskommissionen“ kraft eigener Machtvollkommenheit frei schalten konnten. Die opportunistische Kehrtwende deutete sich schon zu Beginn der Vorstandstagung an, als alle Bezirksvorsitzenden aus ihren Bereichen „lebhafte Diskussionen“ und „heftige Kritik“ an der bisherigen Vorstandslinie melden mußten. Lediglich der Genosse Herbert Stiefvater konnte für seinen Bereich Nürnberg unter dem Gelächter der Anwesenden melden: „Alles beim alten.“ Dort waren zu Beginn des Jahres drei einflußreiche Glasnost -Befürworter ausgeschlossen worden. 18 der Partei überdrüssige Genossen waren ihnen nachgefolgt. Bei den derzeitigen bundesweiten Vorbereitungen auf den kommenden Parteitag ging es in den letzten Wochen in der Partei hart wie nie zuvor zur Sache. Führende Exponenten der traditionalistischen „Blaumann-Fraktion“ sowie die Zentristen um den Vorsitzenden Mies mußten empfindliche Wahlniederlagen einstecken. Parteichef Herbert Mies wurde von seinem Bezirk Düsseldorf nur mit knapper Not und an drittletzter Stelle überhaupt als Delegierter für die Kreisdelegiertenkonferenz nominiert. Georg Polikeit, der Chefredakteur des drögen Zentralorgans 'UZ‘ (DKP-Jargon: „Waldfrevel, daß eine solche Zeitung überhaupt erscheint“), wurde in Wuppertal nur zum „Gastdelegierten“ nominiert. Der Kreisvorsitzende des Kreises Stuttgart wurde nicht gewählt. Willi Gerns, bekannter und einflußreicher Theoretiker des alten Kurses, wurde von Bremen nicht delegiert, in Hamburg fiel der Alt-Kommunist Kurt Erlebach durch. Schon jetzt sind drei Mitglieder der bisherigen, zwölfköpfigen bundesweiten Schiedskommission nicht einmal mehr zu Delegierten gewählt. Besonders schlimm erging es dem selbststilisierten „Sieger von Rheinhausen“, Heinz Czymek. Ihn ließ der heftig beschworene bewußte Kern der Arbeiterklasse schmählich fallen. In seinem - bisher immer als krisensicher beschriebenen - Bezirk Ruhr/Westfalen wurde er heftig kritisiert; „seine“ Kreisdelegiertenkonferenz in Bochum mußte dreimal krisengeschüttelt in letzter Minute vertagt werden, weil keine Beschlußvorlage des Sekretariats durchkam. Nun muß der „Bottroper Gesamtarbeiter“ (Partei -Spott) fürchten, auf der Bezirksdelegiertenkonferenz nicht einmal genügend Stimmen zu einem schnöden Delegiertenmandat in der Partei der Arbeiterklasse zu bekommen. Die Wende kam selbst für Insider in dieser Deutlichkeit überraschend. In der Woche zuvor hatte das Präsidium viermal getagt und an einem Putschplan gearbeitet. Dabei sollte das große Aufräumen beginnen. Die 18 Genossen des 97köpfigen Vorstands, die auf der letzten Sitzung dem reformbegierigen Minderheitsvotum zugestimmt hatten, sollten einfach nicht wieder für den nächsten Vorstand vorgeschlagen werden. Doch die katastrophalen Wahlergebnisse (die fast allen „rechten“ Präsidiumsmitgliedern ein Drittel bis zur Hälfte Nein -Stimmen bescherten), vor allem aber wohl Gorbatschows Durchmarsch in Moskau haben die grenzenlos opportunistische, machtinteressierte Führungsriege in allerletzter Minute die Flucht nach vorn antreten lassen.