DIE WAHRHEIT: Der Weicheiwolf

Meister Isegrim ist in Verruf geraten.

Der bedauernswerte Wolf wird von brutalen blauen spanischen Kaninchen niedergemacht. Bild: taz-archiv

"Willkommen daheim, Wolf!", ruft der World Wildlife Fund (WWF) dem Räuber fröhlich zu und gibt in seinen Broschüren Rotkäppchen die Schuld für das schlechte Ansehen des Wolfes. Denn im Märchen verschlingt Lupus lupus Großmutter und Rotkäppchen umstandslos mit einem Happs. So etwas irritiert den Menschen und deshalb rottete er den Wolf bei uns erst einmal vorsichtshalber aus.

Dieser wandert nun wieder vorsichtig bei uns ein und wird nur von den Jägern begeistert empfangen, die endlich wieder einen richtigen Räuber abschießen können. Doch die Artgenossen der Jäger sind skeptisch und machen um jedes gerissene Schaf ein unschönes Gewese, kurzum, der Wolf hat einen tierisch schlechten Ruf bei uns. Zur besseren Akzeptanz wird deshalb in allen Bundesländern, in die sich der Wolf einzuwandern wagte, ein modernes "Wolfsmonitoring" betrieben. Monitoring bedeutet, dass geschulte Wolfsbetreuer den Jägern vor Ort auf den Finger am Abzug sehen. Hat ein Wolf wieder einmal unüberlegt ein Schaf gerissen, wird eindringlich mit ihm geredet und dem Schäfer rasch etwas Geld zugesteckt. Doch dieses löbliche Wolfsmonitoring wird auf einer anderen publizistischen Ebene geradezu konterkariert, nämlich in seiner Darstellung im Märchenbuch.

Seinerzeit kam Gevatter Wolf durch sogenannte Warn- und Schreckmärchen in Verruf, in denen schutzlose kleine Kinder im Wald gefressen werden. Diese Märchen waren Volksgut und gingen wohl eher auf die schaurigen Werwolfprozesse des Mittelalters zurück als auf wölfische Überfälle auf den Menschen. Charles Perrault schrieb die Volksmärchen in Frankreich auf und berichtete zum ersten Mal schriftlich von Rotkäppchen und dem Wolf. Bei ihm frisst der Wolf die vertrauensselige Kleine auf und gut. Eine Moral muss aber sein: "Doch ein jeder weiß, gerade sie, die zärtlich werden, gerade diese Wölfe locken ins Verderben", warnt Perrault. Dem Wolf wirds egal sein, kommt er doch in dieser Märchenversion gut genährt davon.

Dass hört bei den deutschen Märchenerzählern auf. Ludwig Tieck lässt den satten Wolf im Haus der Großmutter niederschießen, was diese allerdings auch nicht wieder lebendig macht. Im Märchen der Brüder Grimm taucht ein Jäger auf, der dem schlafenden Wolf den Bauch aufschneidet und so Rotkäppchen und Großmutter rettet. Anschließend wird er munitionssparend mit Wackersteinen befüllt und fällt jämmerlich zu Tode. Vermutlich handelte es sich bei dem Jäger um denselben, der bereits in einem anderen Grimm-Märchen die sieben Geislein operativ aus dem Wolf entfernt hatte.

Die Rolle Isegrims wird immer unrühmlicher. Es gibt Märchenversionen, in denen sogar das eher schlichte Rotkäppchen den Wolf austrickst. Vorbei sind die schönen Zeiten, in denen ein Wolf eine Großmutter oder ein Rotkäppchen einfach auffrisst. Der traurige Höhepunkt der Wolfsverächtlichmachung im Märchen ist aber wohl 1985 zu verzeichnen, wo in einem spanischen Kinderbuch ein blondes (!), beholzschuhtes (!!) Rotkäppchen (Caperucita Roja) einem Wolf mit Blumenmusterhose (!!!) begegnet. Gerettet wird das folkloristische Rotkäppchen von vier blauen (!!!!) Kaninchen und einer Schnecke, die den Wolf überwältigen können, da sie muy valiente, sehr stark sind. Zuvor hatte es der hippieeske Weicheiwolf versäumt, die Großmutter zu fressen und sie nur in den Schrank gesperrt, so dass niemand gefressen und niemand aufgeschlitzt wird. Der gefesselte Hippiewolf wurde vermutlich in eine Ernährungsberatungsgruppe gesteckt und ist jetzt Veganer.

Wer will es dem derartig lächerlich gemachten Wolf verdenken, dass er unseren Siedlungsraum inzwischen geflissentlich meidet? Denn Menschenkinder, die ihm nach der Lektüre solch fragwürdiger Märchenbücher zurufen: "Wolfi bei Fuß!", und versuchen, den grauen Räuber zu knuddeln, kann der Wolf auf den Tod nicht ab! KRIKI

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kari

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