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DIE WAHRHEITIm Reich der Roborobben

Im Zusammenhang mit der Therapie Demenzkranker hört man neuerdings von überlebensgroßen, weißen, kuscheligen Robbenbabys ...

... Natürlich stammen die feuchtäugigen Heuler nicht von der knapp an einer Mastkur vorbeigeschrammten Insel Helgoland, sondern aus japanischen Laboren, wie so vieles in der Welt: Die Robben sind mitnichten aus Fleisch und Blut, sondern aus Batterie und Kunstfell, ausgestopft mit Airbagtechnologie und ausgestattet mit einem Spracherkennungs- und Erinnerungschip. Die Roborobbe kann sich also merken, wer nett zu ihr war, und denjenigen bei der nächsten Begegnung mit einem vergnügten Quietschen begrüßen. Wer sich beim letzen Mal aus Versehen oder mit Absicht draufgesetzt hat, bekommt dagegen Angstgeräusche zu hören. Und wer gleich die Keule holen geht, weil das Stoffviech ihn an seine Vergangenheit als Robbenfänger erinnert, der darf erst mal nicht mehr mitmachen. Aber immerhin hat er sich überhaupt wieder an etwas erinnert.

Die Fake-Robben sind momentan nicht das einzige Erwachsenenspielzeug mit Kindchenschema: "Rebornbabys" haben Köpfe wie echte Neugeborene, Haltungen wie echte Neugeborene, Gewicht und Länge sind die von echten Neugeborenen, die Gesichtszüge kann man sogar denen der eigenen Babys nachempfinden lassen. Aber auf Windelpaketeschleppen oder Milcheinschub darf man verzichten. Auch die durchwachten Nächte halten sich in Grenzen - es sei denn, man stellt sich, um der größeren Authentizität willen, einen Wecker.

Einerseits sind diese Reborns - die nicht zu verwechseln sind mit den "Newborns", den besonders blutdurstigen Vampiren aus der "Twilight"-Serie - ziemlich kostenintensiv in der Anschaffung, andererseits stagniert die Investition schnell: Größere Schuhe oder eine Nintendo DS braucht man für sie nie, und wenn man auf einer Party ist, kann man sich darauf verlassen, dass die Babyschale mit dem Reborn, die man im Nichtraucherflur in eine ruhige Ecke gestellt hat, nicht plötzlich anfängt zu wackeln und man den lustigen Abend abrupt beenden muss. Die Frage, wie man sein Kind später in die Eliteschule bekommt, in der Eltern zum Geburtstag den Eiffelturm und sieben Modelkellner pro Gast mieten und eine Guccitasche aus Marzipan oben auf die Fünf-Ebenen-Torte stellen lassen, kann man sich ebenfalls sparen.

Gegen jene gruseligen Plastikbälger wirken die Leidenschaften mancher Damen, im Shopping-Kanal Porzellanpuppen in verschiedenen Outfits zu kaufen und sich dann beim Fernsehen aus gläsernen Augen beobachten zu lassen, richtig harmlos. Immerhin ist den Puppensammlerinnen bestimmt klar, dass es nur ganz selten so kleine Menschen gibt, die sich so wenig bewegen. Jedenfalls, wenn sie dabei sind. Was nachts im Wohnzimmer abgeht, steht auf einem anderen Etch-a-sketch. "Du bist nur ein SPIELZEUG!!!", versuchte schließlich schon Woody nachdrücklich Buzz Lightyear klarzumachen, der dachte, dass er ohne Astronautenhelm in der fremden Atmosphäre des Kinderzimmers nicht überleben kann.

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