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Archiv-Artikel

DIE KÜHE BEIM GRASEN STÖREN

Die Privatbahnen in Norddeutschland verzeichnen rasante Zuwächse bei ihren Fahrgastzahlen. Die taz nord hat sich auf den Privatbahn-Weg von Bad Oldesloe nach Osnabrück gemacht und sehr gemischte Erfahrungen mit Metronom, Nordbahn, Nordostseebahn gesammelt

Text und Fotos von MARKUS FLOHR

In ganz Deutschland werden private Bahn-Angebote gut angenommen, der „Metronom“ zum Beispiel hat zwischen Hamburg und Bremen im letzten Jahr 50 Prozent mehr Gäste transportiert. Warum eigentlich? Kommt die private Eisenbahn pünktlicher? Liegt es am Personal? Sitzt es sich in ihren Sesseln gemütlicher? Die taz nord fuhr einen Tag lang ganz privat Bahn, von Bad Oldesloe bis nach Osnabrück.

Nordbahn 81018

8:42 Bad Oldesloe – 9:28 Neumünster

Im Bahnhof von Oldesloe gibt es nicht viele Dinge, die nach Zukunft, Aufbruch oder Leben aussehen. Der Zug der Nordbahn sticht da deutlich heraus. Er ist weiß, an der Spitze rot, ein paar blaue Dreiecke sind um die Fenster herum gemalt. Von der Größe her könnte er einmal eine Bremer Straßenbahn gewesen sein, die aus Versehen auf die Nahverkehrsschienen Schleswig-Holsteins gefahren ist.

Drinnen steht ein Fahrkarten-Automat, es gibt ein Plastikfach mit Werbezetteln, die Fenster hinter dem Automaten sind mit Postern zugeklebt: Gojko Mitic wirbt für seine letzte Saison als Bad Segebergs Winnetou, die Nordbahn empfiehlt ihren frisch gebrühten Kaffee. An die Decke hat man ein paar Drucke naiver Malerei mit vielen Seesternen, Blumen, Giraffen und ganz viel Farbe gehängt und das Ganze „Nordbahn-Galerie“ getauft. Der gesamte Zug besteht aus einem großen Waggon, es gibt eine saubere, behindertengerechte Toilette und einladend aussehende weinrote Sitze. Die Fenster sind groß wie Autos. Pünktlich lässt der Lokführer den Motor an und zuckelt los. Jetzt fühlt sich die Nordbahn an wie der Überlandbus. An entlegenen Haltestellen müssen die Gäste den Halte-Knopf drücken, sonst braust er durch. Im vorderen Waggonteil braut der Schaffner Kaffee, man kann Zeitungen kaufen: „Ihr habt das Land gedreht“ steht auf einer. Zwischen Wakendorf und Altengörs bricht die Sonne durch die Wolken.

Vor dem Schaffner sitzen fünf Jugendliche, die sich über Deutschland, seine Fahne und die WM unterhalten. „Eben, als wir an dem Spielmannszug vorbei gegangen sind, hatte ich schon wieder Lust zu marschieren“, sagt das Mädchen mit der Brille und dem dunkelblonden Pony. Sie führt dazu einen imaginären Taktstock. An jedem Sitz des Zuges gibt es ein kleines Radio mit fünf Kanälen, für das der Fahrgast nur einen Kopfhörer mitbringen muss. Das ist, je nach Umgebung, sehr praktisch.

Nord-Ostsee-Bahn 80712

Neumünster 9:37 – 10:02 Kiel

Am Freitag letzter Woche haben in Schleswig-Holstein die Sommerferien begonnen. Am letzten Tag des Halbjahres tun die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer deshalb so, als gäbe es keine Zeugnisse und Noten, keine Klassenarbeiten oder Versetzungsgefährdungen. Sie spielen Großfamilie mit dreißig Jugendlichen: „Auf! Wir fahren nach Kiel“ – es ist Klassenausflugs-Zeit.

Lehrer Menzel luschert immer wieder nervös zu Jesse, Alexander und Robert rüber, seit er mit der Klasse in Neumünster eingestiegen ist. Die sitzen einmal über den Gang direkt neben ihm und reden nicht. Wer neben dem Lehrer sitzt, der redet nicht. Neben dem Lehrer zu sitzen, bedeutet sowieso die Arschkarte, da kann man nicht noch reden. Jesse macht seinen mp3-Player an und stellt auf Außenlautsprecher. Menzel ruft „Jesseee“ und macht nervöse Dreh-Bewegungen mit der rechten Hand, die bedeuten sollen, dass Jesse das Ding wieder ausmachen soll. Robert und Alexander drehen den kopierten Innenstadt-Plan hin und her, um heraus zu finden, von welcher Seite der Zug in die Stadt rollt. Jesse macht seinen Hip-Hop wieder aus. Der Zug hält in Einfeld.

Die Nord-Ostsee-Bahn sieht übrigens so aus wie die Nordbahn, nur Kaffee und Zeitungen fehlen. Außen ist sie gelb und blau angemalt, drinnen sind die Sitze blau. Es gibt keine Galerie. Sie kommt pünktlich in Kiel an.

Nord-Ostsee-Bahn 80632

Kiel 11:03 – 12:24 Husum

Eine Stunde Aufenthalt bis zur nächsten Privatbahn. Über den Bahnhofsvorplatz in Kiel schlendert eine schwedische Kleinfamilie. An der Förde hat schon die Fähre aus Göteborg fest gemacht und sonnt sich bei fast 30 Grad im Hafenbecken. Die Schulklassen vom Land sammeln sich auf den Stufen vor dem Hauptportal. Sie stöhnen, die Luft schimmert schwül.

Im Zug nach Husum sitzen zwei Jungs in kurzen Hosen, die den Ausflug schwänzen oder aus irgendeinem Grund keine Schule haben. „Ich bin dieses Jahr 25 Mal zu spät gekommen. Damit halte ich garantiert den Schulrekord“ sagt der kleinere. Der große schlägt gegen das Fenster des Zuges. „Ist ja gar nicht aus Glas“ sagt er und schlägt noch einmal dagegen. „Das ist Plastik.“ Dann bekommt sein Bekannter die Hand ab, zuerst aufs Knie. Der lacht. „Tut nicht weh“, sagt er und schlägt seinerseits gegen das Plastik-Fenster. Sein großer Freund haut ihm gegen den nackten Oberschenkel: „Au!“ – „Kann dir gar nicht weh tun.“ – „Tut es aber. Ich habe da einen Mückenstich, siehst du?“

Die Nord-Ostsee-Bahn rollt auf der stählernen Hochbrücke über die Dächer Rendsburgs hinweg. Oben stehen Gleisarbeiter, viele Pfeiler sind in Gerüste und weiße Plane eingepackt. Im ganzen Zug sitzen zwanzig Leute, zwei Damen und eine junge Frau steigen in Rendsburg zu. Vor dem Fahrkartenautomaten verzweifelt eine von ihnen. Sie trägt eine runde Brille und hat graues Haar. „Ich habe jetzt zum dritten Mal ‚Schleswig-Holstein-Ticket‘ eingetippt, der Automat spuckt mir das Geld immer wieder aus und sagt ‚Bitte Warten‘.“ Eine Mitfahrerin macht ihr Mut: „Heute morgen haben sie hier einen jungen Mann gleich verhaftet. Als der Schaffner kam, wollte er noch schnell zum Automaten und ‚ne Karte kaufen – keine Chance. Aber hier im Zug ist ja kein Schaffner.“

Eine junge Frau im geblümten Sommerkleid drückt die richtigen Tasten und steckt das Geld in den richtigen Schlitz. „Immer diese Automaten. Warum sind das eigentlich so komische Fahrkarten, die da rauskommen?“ brummelt die ältere Dame. – „Jetzt müssen Sie da unten noch ihren Namen hinschreiben, ja, da. Hat jemand einen Stift?“

Nord-Ostsee-Bahn 80517

Husum 12:31 – 14:24 Hamburg

Die Köge der Westküste liegen wie grün bestäubte Teller in der Sonne. Es ist Mittag, mitten im Juli und brütend heiß. Man kann sich wundern, dass das Gras vor dem Zugfenster nicht zu brennen beginnt. In die Sessel gesunken sitzen Urlauber auf der Heimreise von Sylt, Amrum oder Föhr und dösen mit dem Kopf auf ihren Taschen. Wer nicht muss, bewegt sich nicht. Nur die Kinder springen durch den Zug, laufen von Waggon zu Waggon und suchen am Fenster den Horizont nach Leuchttürmen ab. In Wagen Nummer 5 ist die Klimaanlage ausgefallen.

Ein junges Paar in weißen Kleidern krempelt sich die Hemdsärmel bis über die Schultern hoch. Der Mann steht auf und sucht die Sitzreihen ab. „Vielleicht muss man hier irgendwo einen Knopf drücken?“ Der Schweiß malt seine Schulterblätter ins Hemd. Seine Freundin ist schon in den nächsten Wagen gewandert: „Hier ist es viel kühler!“ schreit sie den Gang hinunter.

Der NOB 80517 ist der Inter-City unter den Privatzügen des Nordens. Zehn Waggons lang ist er, in seinen Sesseln sitzt es sich bequem, für die Hände gibt es Tischchen und ein Mann mit einem Schiebe-Wagen verkauft Wasser, Kaffee, Schokoriegel und Eis.

In Wagen vier sitzen drei Männer aus Berlin und lesen Berliner Zeitungen. „Haste jesehn? Hier sacht ne Frau: ‚Iss ja ejal dat wa nich Weldmeissda jewordn sind. Weärdn was‘ halt nächsdes jah“. Sie prusten vor Lachen. Die Bahn fährt auf die Brücke über dem Nord-Ostsee-Kanal. Der Vorleser glotzt aus dem Fenster. „Wat isn dat fürn Fluss?“ fragt er.

Metronom 81162

Hamburg 15:15 – 16:29 Bremen

Im Gegensatz zu den anderen Privatbahnen sieht dieser Zug kein bisschen anders aus als sein Vorgänger von der Deutschen Bahn. Die Metronome fuhren in ihrem ersten Leben als rote DB-Züge auf derselben Strecke, jetzt haben die Privatbahn-Leute sie blau und gelb angemalt. Auch das Zugpersonal trägt die neuen Farben. Der Metronom hält in denselben Örtchen wie die alte Bahn.

In Buchholz steigt der halbe Zug aus und quetscht sich durch einen schmalen Gang zwischen zwei Bauzäunen zum Bahnhofs-Ausgang hinauf. Es ist immer noch heiß. Die Klimaanlage funktioniert. Der Zug rollt pünktlich in Bremen ein.

Nord-West-Bahn 81380

Bremen 17:20 – 19:50 (19:32 planmäßig) Osnabrück

Wer diesen Zug nicht nehmen muss, der tut es nicht. Nach Osnabrück fährt die Deutsche Bahn mit dem Regional-Express über Syke und Diepholz schneller. In der Nord-West-Bahn kann der Fahrgast ab Vechta dagegen Angst bekommen, die Kühe beim Grasen zu stören. Vielleicht kommen sie irgendwann auf die Idee, den Zug an einer Haltestelle wie „Quakenbrück“ oder „Hesepe“ mit ihren Hinterbeinen umzuschmeißen, weil ihnen das Fahrgeräusch zu laut ist. Schließlich zuckelt das Zügchen mitten durch ihr Abendessen. Als er an einer kleinen Brücke darauf wartet, dass das Signal auf „grün“ springt, schaut eine Gruppe Kühe argwöhnisch herüber. Neun Fahrgäste starren zurück.

An der Decke der Bahn klebt ein Plakat: „Entspannt ankommen. Osnabrück macht wach“. In Wildehausen wartet die Bahn zehn Minuten auf einen Anschlusszug. Um 19 Uhr beginnt es zwischen Steinfeld und Holdorf zu regnen. Es gibt keinen Kaffee. Das Radio am Platz fehlt.

Am Stadtrand von Osnabrück hält der Zug erneut mitten auf dem Gleis. Die Verspätung ist auf achtzehn Minuten angewachsen. Eine Durchsage vom Band sagt, dass sich Passagiere, die weiter reisen wollen, die Lautsprecher-Durchsagen am Bahnhof anhören sollen. Mein Zug zurück ist vor zehn Minuten abgefahren und die Wachheit, die ich spüre, kann nicht die sein, die die Stadt Osnabrück mir versprochen hat.