DIE ITALIENER MÖGEN DIE EU. DARAN KOMMT IHR PREMIER NICHT VORBEI: Berlusconis Tricks und Tücken
So ist Berlusconi. Am einen Tag hat er noch ganz prinzipielle Bedenken gegen den Europäischen Haftbefehl und schmäht ihn als üblen Angriff auf die Bürgerrechte – doch tags drauf stimmt er ihm zu. Das Ja kommt kaum von Herzen, doch Italiens Regierung hatte keine ernsthaften Alternativen. Ein Ausstieg ausgerechnet der Italiener bei Korruption und Geldwäsche hätte sich in Europa kaum als legitime Vertretung nationaler Interessen verkaufen lassen. Eher schon schien der justizgeplagte Premier mit der Vertretung höchst persönlicher Interessen befasst.
Mit Zorn in der EU hätte Berlusconi womöglich leben können; zu Hause dagegen drohte schwer kalkulierbarer Schaden. Der Regierungschef mit den vielen Ermittlungsverfahren am Hals hat zwar die Mehrheit der Italiener davon überzeugt, dass sein ganzer Ärger mit der Justiz allein aus der Verfolgungswut der „roten Roben“ resultiert. Auf diese Weise hat er es geschafft, seinen Privatkrieg zum Freiheitskampf hochzustilisieren. Doch zugleich muss er damit leben, dass die EU in Italien hohe Popularität genießt. Euroskepsis kommt bei den Wählern nicht gut an, und ein offener Bruch mit den 14 anderen Unionsstaaten ließe sich kaum in einem Land vermitteln, in dem das „Dabeisein in Europa“ nationalen Stolz hervorruft. Vor allem hat er Zeit gewonnen, denn zur Anwendung des Haftbefehls in Italien muss erst die Verfassung geändert werden – und das wird dauern.
Europa hat dennoch Grund, weiter genau nach Rom zu schauen. Denn Berlusconi wäre nicht er selbst, wenn er das Ärgernis nicht noch zu seinem Vorteil drehte. Schon verkündet er, seine angestrebte „Reform“ der italienischen Justiz – die nichts anderes ist als die Unterwerfung der Rechtsprechung unter die Exekutive – sei nun erst recht notwendig, nämlich als Akt europäischer Harmonisierung. Das wäre dann die gelungene Quadratur des Kreises: ein Berlusconi, der mit dem Europa-Argument einerseits die Terror- und Korruptionsbekämpfung im Ausland ermöglicht und andererseits zu Hause die Anti-Korruptions-Staatsanwälte an die Kette legt. MICHAEL BRAUN
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