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DIE ENTFERNUNGSPAUSCHALE UND DIE ÖKOPARTEIGrüne geben panisch Gas

Es ist schon absurd: Erst muss ein Abgeordneter der SPD darüber sauer werden, dass der Kanzler Autofahrer stärker als Bahnfahrer belohnen will. Und dann stellt sich auch bei den Grünen ein Rest an Klagefähigkeit ein. Immerhin plädieren nun sechs ihrer Abgeordneten dafür, auf die Entfernungspauschale ganz zu verzichten und stattdessen die Werbungskostenpauschale zu erhöhen.

Der Vorschlag kaschiert nur mühsam, dass sich bei den Grünen niemand mehr findet, der die Zähmung des Autos für notwendig erachtet und laut sagt, dass es sich dabei um den größten Landschaftsfresser, Krachmacher und Luftverpester von allen handelt. Stattdessen setzen bekennende Öko-Raser wie Rezzo Schlauch auf die Wähler bindende Kraft eines vom Finanzamt finanzierten Kleinwagens. Würde das Pendeln als kulturelle Frage begriffen, ließe sich mit der Entfernungspauschale auch substanzielle Politik machen. Im Job haben nur die Mobilen gute Zukunftsaussichten.

In ein paar Jahren wird nicht mehr die Frage entscheidend sein, ob man im ländlichen Stade wohnt und nach Hamburg zur Arbeit fährt. Es geht nicht mehr um Entfernungen zwischen 50 und 100 Kilometern täglich und die damit verbundene Zersiedelung der Landschaft durch Pendlerhäuser.

Der mobile Mensch wird künftig zum Langstreckenpendler werden. Er wird in Berlin aufwachen und 285 Kilometer weiter westlich, nach Hannover, an seinen Schreibtisch fahren. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln lässt sich die Strecke in gut zwei Stunden bewerkstelligen, Bleifüsse brauchen erheblich länger. Bei solchen Entfernungen schlägt die Bahn das Auto schon heute.

Der Arbeiter der Zukunft wird sich auch nicht mehr in der Mitte zwischen Berlin und Hannover ein Haus bauen, weil seine Einsatzorte im Laufe seines Berufslebens einfach zu oft wechseln. Künftig lässt man sich an seinem Lieblingsort nieder und reist zum jeweiligen Einsatzort. Die Bahn wäre als Pendler-Carrier mit integriertem Arbeitsplatz unschlagbar.

Bei den Grünen aber zählt nur dieser eine, auf den Asphalt geworfene Gedanke: Lasst uns vollen Frieden schließen mit VW Turbo-Golf und Audi A6. Normalitätsbesoffen verpassen sie, Ökologie und Ökonomie miteinander zu verbinden. Dabei ist es doch ganz einfach: Wer Bahnfahren belohnt, subventioniert nebenbei die angeschlagene Bahn AG am effektivsten. Eigentlich haben die Grünen nur panische Angst vor sich selbst.

ANNETTE ROGALLA

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