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DIE EINMISCHUNG

■ Jinshi Zhus „Nicht-Kunst“ in der daad-Galerie

„Was mich betrifft, so kann ich sagen, daß ich, während ich meine künstlerischen Erfahrungen sammelte, den größten Teil meiner Energien darauf verwandte, gesellschaftliche Erfahrungen zu sammeln. Ich hoffe, daß wir uns künftig nicht nur in die Kunst, sondern auch in die Gesellschaft einmischen“, schrieb der chinesische Maler und Konzept -Künstler Jinshi Zhu im Juli 1988 an Freunde in Peking. Er wollte mit ihnen gemeinsam sein Projekt „Fangzhen“ vorbereiten: Ein Kubikmeter Leinwand, seit Jahrhunderten Grundstoff der europäischen Kunst, sollte in Berlin als Katalysator alltäglicher und ästhetischer Erfahrungen dienen und dann gegen einen Kubikmeter Reispapier, den eine Gruppe in Peking für die Materialisation ihrer Ideen und Erinnerungen benutzte, ausgetauscht werden. „Fangzhen“ kann mit „Leitlinie“ oder „Konzept“ übersetzt werden. Die Wege von chinesischem Reispapier und westlicher Leinwand sollten die kommunikativen Prozesse zwischen zwei Kulturen nachzeichnen.

Doch nichts von dem in Pekings Läden gehamsterten Reispapier konnte Berlin erreichen. Nur die Fotos der beiden Stapel elementarer Größe und ein Teil des Briefwechsels vom Beginn des Projekts dokumentieren in der daad-Galerie die Aktion, die zur Einmischung in die Gesellschaft werden wollte und stattdessen durch die gesellschaftlichen Realitäten verhindert wurde. Die Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 beendeten den Austausch; die Zerstörung des kommunikativen Gebäudes bedeutete zwar nicht das Ende von „Fangzhen“, aber sie zwang der Aktion eine untergründige Form auf.

1988 hatte Zhu, der als Gast des daad nach Berlin kam und jetzt nicht mehr nach China zurück kann, vor dem Bethanien begonnen, seine universelle Einheit Leinwand - 6 Rollen, je 60 x 3 Meter - „Prozeduren“ zu unterziehen: Er wickelte den Stoff um Bäume, markierte mit den Bahnen Achsen in der Kreuzberger Topographie, verteilte die Lappen wie Wäschestücke und Picknick-Decken auf der Wiese. „Laß uns unzählige Male das Reispapier und die Leinwand bewegen, nur Wiederholungen, keine Abwechslungen. Die Verdinglichung meiner Vorstellungen wird dadurch entstehen. Diesen Prozeß bezeichne ich als das Schreiben und Lesen von Leerstellen“, kommentierte er die Aktion in einem Brief nach Peking. Keine Form wurde festgehalten, kein Werk verewigt. Die Leinwand blieb Projektionsfläche potentieller Erlebnisse; mit ihr konnte Umwelt vermessen und Zeit rhythmisiert werden. Die Erfahrungen, die sie durchwirkten, blieben imaginäre Spur, die den Stoff nicht aufbrauchte.

Doch dies Versprechen der unbestimmten Form, allen möglichen Artikulationen offen zu stehen, ließ sich für Jinshi Zhu nach der Niederschlagung der Proteste in Peking nicht länger aufrechterhalten. Er versuchte die konkrete Einmischung; die Leinwand wurde jetzt zum Transparent bei den Demonstrationen in Berlin, zum Träger fest eingeschriebener Zeichen. Ihre empfängliche, sanfte und allumfassende Formlosigkeit erfuhr einen harten Schnitt; sie nahm die Form eines eindeutig gerichteten Aufschreis an. Teile der Demonstrationsleinwand liegen jetzt im Eingang der daad-Galerie: In ihren Falten verkrümeln sich trockene Laubblätter, die ihre Zuordnung zu einem Punkt der Vergangenheit betonen.

Doch „Fangzhen“ zeigt sich nicht nur im Stadium der Erschöpfung und der Zerstörung, sondern vermittelt auch eine Stille, in der sich vielleicht neue Energien sammeln können. Leinwand, zu schmalen Streifen geschnitten, umwickelt Ballen mit Farbpigmenten: Rohstoff der Malerei. Die verschnürten Ballen gleichen gigantischen Krachern, die eines Tages doch laut explodieren und ihren Farbregen über Peking und Berlin hinabsenden könnten.

Die Briefe zwischen Berlin und Peking kreisen um die Etablierung eines neuen Begriffes von „Nicht-Kunst“, der einerseits in Opposition zur offiziellen chinesischen Dekorationskunst gedacht wird, andererseits zwischen der traditionellen Kultur Chinas einerseits und der europäischen, zwischen Dada und Fluxus gespannten Avantgarde andererseits vermitteln kann. Ein Problem bleibt die Vereinnahmung jeder „Nicht-Kunst-Aktion“, wie beispielsweise das Auseinandernehmen einer Kiste oder das Nähen und Spazierentragen einer Leinwandtasche, durch einen, jegliche Differenzen nivellierenden, Kunstbegriff, der die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Einmischung auf die symbolische Ebene verweist.

Konkrete Berührungspunkte zwischen westlicher und fernöstlicher Kunst findet Zhu in den Korrespondenzen abstrakter Malerei und chinesicher Kalligraphie. In seinen Bildern, von denen er jetzt nur zwei zeigt, wachsen sich die zarten Schriftbilder zur gewaltvollen, gestisch expressiven Malerei aus. Statt der fließenden Tusche benutzt er Ölfarbe, die ihm zur schweren, klebrigen Materie wird. Wie ein Brei aus Tang und Teer knetet er sie auf die Leinwand.

Spontanen Blitzen, Eingebungen - im Moment ihrer Entstehung zu Papier gebracht - gleich, erscheinen dagegen seine Tuschzeichnungen. Mit ihnen verwirklicht Jinshi Zhu eine Geste der „Nicht-Kunst“, indem sie ihm nicht Objekte des Verkaufs, sondern des Verschenkens sind.

Katrin Bettina Müller

Jinshi Zhu, „Berlin - Beijing“, daad-Galerie, bis 17. Juni, täglich 12.30-19 Uhr. „Nicht-Kunst-Aktion“ am 10. Juni.

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