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DIE DEBATTE ÜBER JUGENDSCHUTZ HAT MANCHMAL HYSTERISCHE ZÜGEAlles kleine Ego-Shooter

Auf einem Schnappschuss im Fotoalbum eines Bekannten ist ein 16-Jähriger zu sehen, der Sohn, und direkt neben ihm hängt ein Schild: „Vor wilden Tieren wird gewarnt!“ Womöglich braucht man sein Kind für eine solche Aufnahme bald nicht mehr in einem Zoo neben ein Löwengitter zu stellen. Science-Fiction-Autoren sollten jedenfalls schon mal über das Szenario einer Gesellschaft nachdenken, in der Jugendliche wie Raubtiere behandelt werden. Die hektische Aufregung nach dem Erfurter Massaker hat zumindest Untertöne, die über berechtigten Jugendschutz hinausgehen. Sie lassen sich dahin gehend verstehen, dass eine Gesellschaft im Begriff ist, den Kontakt zu ihren Nachkommen zu verlieren: alles kleine Ego-Shooter.

Die Kluft zwischen dem Bild Heranwachsender in den Medien und den Erfahrungen, die sich im Kontakt mit ihnen machen lassen, ist derzeit jedenfalls arg groß. Neben nachdenklichen Tönen, wie mit Computerspielen und Internet umzugehen sei, ist ein apokalyptischer Diskurs gerade dabei, sich zu verselbständigen. Ihm zufolge haben Millionen Kids nichts anderes mehr im Sinn, als tagelang am PC rumzuballern. Zudem eskaliert mittlerweile in jedem dritten „Tatort“ Jugendgewalt. Wer in seinem Umfeld keine Jugendlichen mehr kennt, die diese grell ausgemalten Medienbilder mit realer Anschauung abpuffern – und bei der kippenden Alterspyramide gibt es immer weniger Jugendliche –, kann den Eindruck entwickeln, dass hier eine Generation von gewalttätigen Medienmonstern heranwächst. Dass alle Gewaltstatistiken dem entgegensprechen, irritiert dann kaum noch.

Die Bundesregierung will nun die Rolle der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auch auf Computerspiele ausdehnen – okay. Genauso wichtig aber ist es, zu betonen, dass Robert Steinhäuser die große, todtraurige und unerklärliche Ausnahme darstellt. Auch wenn es noch so oft behauptet wird, führt von den vielen computerspielenden Jugendlichen keine direkte Verbindung zum Erfurter Attentäter. Szenarien, in denen jedem Jugendlichen ein Jugendarbeiter beigeordnet wird und jeder Schulklasse ein Polizist, rücken in den Bereich des Denkmöglichen. Aber sie sollten Science-Fiction bleiben. DIRK KNIPPHALS

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