DIE AFGHANISTAN-KONFERENZ IN BERLIN HILFT DEN GRÜNEN IN ROSTOCK: Das zufällige Glück der Realos
Wer an die Grünen denkt, dem wird derzeit kaum das Wort Glück einfallen. CSUler und Pazifisten fallen mit gleicher Inbrunst über die Partei her, die auf offener Bühne ihr Gewissen verkauft haben soll. Am kommenden Wochenende, auf ihrem Parteitag in Rostock, muss sie das Wunder vollbringen, gleichzeitig die Entsendung der Bundeswehr zu stützen und die Militärkritiker zu ihrem Recht kommen zu lassen. Lässt sie das Erste, platzt Rot-Grün, lässt sie das Zweite, scheucht sie die Basis zur PDS. Und natürlich darf dabei auch kein Formelkompromiss herauskommen, denn das nimmt die Presse krumm. Die Grünen können nur wählen, in welcher Reihenfolge sie verlieren wollen.
In dieser üblen Lage scheint ihnen der Zufall zu helfen. Erstens wird voraussichtlich parallel zum grünen Familienkrach in Rostock die große UN-Konferenz über die Zukunft Afghanistans in Berlin stattfinden. Und zweitens könnte der deutsche Diplomat Klaus-Peter Klaiber zum EU-Sonderbeauftragten für Afghanistan bestimmt werden. Gerade weil die USA kein Interesse am Nachkriegs-Afghanistan zeigen, sind die Rolle der EU für den Friedensprozess und die Besetzung des Chefpostens kaum zu überschätzen.
Das sind, mag man einwänden, nur Symbole. Ganz falsch. Keine Politik kommt ohne Symbole aus, und gerade die deutsche Kriegsdebatte ist eine hochsymbolische Veranstaltung. Die UN-Konferenz in Berlin und ein deutscher EU-Mann verdeutlichen, was nötig und was für deutsche Politik möglich ist. Ein glücklicher Zufall für die Realos – beides versinnbildlicht ihr Argument, dass man besser um künftige Politik und nicht um Gesinnungsfestigkeit streiten solle.
Und noch etwas: Das Außenministerium hat Scharpings Versuch, alte Bundeswehr-Waffen ins Ausland zu verscherbeln, erst mal gestoppt. Auch das dürfte Fischer in Rostock helfen. Auch wenn wir, was den Zeitpunkt für Fischers Aktion „Stoppt die Waffenexporte“ angeht, an einen glücklichen Zufall nicht glauben mögen. STEFAN REINECKE
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