DFB-Team in EM-Form?: Formen und performen
Wo steht das deutsche Team? Einige unbekannte Variablen machen den Ausgang dieser Europameisterschaft für die DFB-Elf zum Vabanquespiel.
Das deutsche Team hat sich rargemacht vor der Europameisterschaft. Nur zwei Begegnungen standen die letzten zwölf Wochen auf dem Programm. Es blieben zwei Eindrücke haften, die gegensätzlicher kaum sein könnten. Das letzte Pflichtspiel Mitte April bei der WM-Qualifikation in Serbien ging mit 2:3 völlig überraschend verloren und war ein Zeugnis verstörender Hilflosigkeit. Einer Machtdemonstration dagegen glich der EM-Test vor gut zehn Tagen gegen die Schweiz (7:0), die in der Fifa-Rangliste weit vor Serbien rangiert. Wie gut ist der deutsche Frauenfußball also noch?
Mit dieser Frage beschäftigt man sich beim Dauereuropameister zwischen 1995 und 2013 spätestens seit dem unrühmlichen EM-Ausscheiden 2017 im Viertelfinale. Die vorläufige Antwort darauf wird mitunter durch das nächste Spiel (Dienstag, 21 Uhr, gegen Spanien) widerlegt. Ein Grund vielleicht, warum Trainerin Martina Voss-Tecklenburg ihrem Team vor der EM eine Art Klausur in Herzogenaurach verordnete mit intensiven Übungsstunden und nur einem öffentlichen Auftritt.
Im möglichst frustrationsfreien, sicheren Raum soll Stabilität geschaffen werden. Und Voss-Tecklenburg will dafür auch mit Worten Schwächen in Stärken umwandeln: „Andere Nationen wissen im Moment nicht so genau, wozu wir in der Lage sind. Das kann für uns zu einem Riesenvorteil werden, und wir müssen das für uns nutzen“, erklärte sie jüngst der Süddeutschen Zeitung.
Möglichst eingängig versuchte sie Anfang März die Herausforderung für das DFB-Team zu beschreiben: „Wir müssen noch ein bisschen formen, um zu performen.“ Die 54-Jährige ist immer noch auf der Suche nach der Umsetzung ihrer Vorstellung eines attraktiven und offensiven Fußballs, der gerade aus den Umschaltphasen heraus seine Wirkung zeigen soll. Für die WM 2019 stand der damals neuen Bundestrainerin nur ein halbes Übungsjahr zur Verfügung. Gute Ansätze, aber die angestrebte Olympiaqualifikation wurde durch das Scheitern im Viertelfinale gegen Schweden verpasst. So lautete im Anschluss die nüchterne Bilanz.
Viel zu gewinnen, viel zu verlieren
Seither formt und formt Martina Voss-Tecklenburg ohne wirklich bleibende Wirkung. Das hat auch mit allerlei Widrigkeiten zu tun. Im sich dynamisch entwickelnden Frauenfußball haben etliche aufstrebende Nationen wie etwa Gastgeber England oder die Niederlande und Spanien viel zu gewinnen und der einstige Dominator Deutschland hat viel zu verlieren. Die durch die Pandemie gesteigerten personellen Unberechenbarkeiten haben es erschwert, eine eingespielte Elf herauszubilden. Beim wichtigen Vorbereitungsturnier im Februar mit EM-Gastgeber England, Spanien und Kanada musste das DFB-Team 14 Absagen verkraften.
Aber auch bei freier Wahl plagt die Bundestrainerin ein Problem. Sie verfügt über einen nicht ausbalancierten Kader. Während Voss-Tecklenburg für das Offensivspiel zwischen vielen Optionen wählen kann, ist der Ausfall von Defensivkräften deutlich schwieriger zu kompensieren. Marina Hegering, die aufgrund von Knieproblemen und einer Covid-Infektion nur fünf Saisoneinsätze in der Bundesliga hatte, ist etwa aus der Innenverteidigung kaum wegzudenken, zumal neben ihr die gelernte Außenbahnspielerin Kathy Hendrich vor gut einem halben Jahr erst umgeschult wurde. Freiwillig hat sich Voss-Tecklenburg bei der Nominierung auf nur sechs Abwehrspielerinnen beschränkt, weil sie in der Not lieber weitere Umschulungsmaßnahmen vornimmt. Flügelstürmerin Nicole Anyomi etwa könnte hinten rechts aushelfen.
Aber auch mit einer Fülle an Möglichkeiten ist nicht einfach umzugehen. Angesichts der großen Offensivauswahl an unterschiedlichsten Typen von Spielerinnen, mit viel Zukunft vor sich wie Jule Brand (19) und Klara Bühl (21) oder viel Erfahrung wie Svenja Huth (31) und Alexandra Popp (31), müsste das deutsche Team eigentlich eine große Unberechenbarkeit entfalten können.
Allerdings wirkten in der jüngsten Vergangenheit gerade die Angriffsbemühungen der DFB-Elf gegen stärkere Teams häufig allzu schematisch. In schwierigen Momenten limitierte man sich mit dieser steifen Disziplinierung selbst. Der Rückzug des deutschen Teams zuletzt in Herzogenaurach dürfte für Improvisationsübungen genutzt worden sein, um mehr Überraschungsmomente schaffen zu können.
Durch den Ausfall von so erfahrenen wie hochklassigen Spielerinnen wie Melanie Leupholz (Schwangerschaft) und Dzenifer Marozsán (Kreuzbandriss) ist das mehr denn je im deutschen Kader zu einer Frage des Kollektivs geworden. Bislang fehlte diesem gerade nach Rückständen noch die Fähigkeit zur Selbstregulation.
Auch deshalb ist die DFB-Elf einerseits Kandidat für ein historisch frühzeitiges Ausscheiden, weil die Gruppengegner Spanien und Dänemark viel Qualität mitbringen. Andererseits ist das Team nicht nur für DFB-Direktor Oliver Bierhoff ein Kandidat für das EM-Halbfinale. Wo der deutsche Frauenfußball steht, wird vermutlich selbst nach diesem Turnier nicht einfach zu sagen sein, weil derzeit allerorten so viel in Bewegung ist.
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