DFB-Team droht Olympia-Aus: Alles für den Horst
Nach dem 1:2 gegen Frankreich bangen die deutschen Fußballerinnen um die Olympiateilnahme und der Übergangstrainer um seinen Posten.
Es gibt noch viele schöne Dinge in Lyon zu entdecken. Ein Ausflug in die Altstadt und dann ein Spaziergang hoch zur Basilika Notre-Dame de Fourvière wird mit einem prächtigen Ausblick belohnt. Gleich um die Ecke haben einst Megan Rapinoe und Co. bei ihrer WM-Mission im Sommer 2019 gewohnt. Die deutschen Fußballerinnen sind nach dem Nackenschlag im Nations-League-Halbfinale gegen Frankreich (1:2) noch ein paar Tage in der Stadt am Zusammenfluss von Rhône und Saône geblieben.
Am Dienstag geht es von dort nach Heerenveen, wo das Spiel um den dritten Platz des Final Four gegen die Niederlande (Mittwoch 20.45 Uhr/ZDF) mehr als ein Entscheidungsspiel ums Olympiaticket ist. Es geht auch darum, wie lange es mit dem bei den Nationalspielerinnen beliebten Interimstrainer Horst Hrubesch weitergeht. „Wir wollen alles dransetzen, dass wir die nächsten Wochen und Monate noch zusammenarbeiten“, sagte Torhüterin Merle Frohms, die genau wie ihr Trainer von Paris 2024 träumt: „Wir wollen da alle unbedingt hin. Nicht nur für Horst, sondern weil es ein so großer Traum ist.“
Bei einem Scheitern würde der DFB den sofortigen Neustart ausrufen, denn bereits von April bis Juli wird die Qualifikation für die EM 2025 in der Schweiz gespielt. Ohne Olympia würde eine andere Person mit diesem Auftrag betraut. Gewiss wird die Wahl nicht auf Hansi Flick fallen, den die ehemalige Nationaltorhüterin Almuth Schult ins Spiel brachte. Unbezahlbar und unrealistisch.
„Es ist noch nicht vorbei“
Ausgerechnet in seinem 13. Länderspiel kassierte der Nothelfer Hrubesch seine erste Niederlage mit den DFB-Frauen, die der 72-Jährige aber wieder aufrichtete: „Die Geschichte ist nicht vorbei.“ Man müsse jetzt „draufbeißen und Gas geben“. Obwohl die Niederlande bei Weltmeister Spanien mit 0:3 verloren, wirkt das Team seines Gegenübers Andries Jonker deutlich gefestigter. Den Deutschen mangelt es an Überzeugung, Flexibilität, Präzision – und auf einigen Positionen stellt sich die Qualitätsfrage.
Das Freundschaftsspiel vor einem Jahr gegen die „Oranje Leuwinnen“ wurde noch unter Martina Voss-Tecklenburg so glücklich gewonnen, dass daraus tunlichst nichts abgeleitet werden sollte. Hrubesch ahnt, dass vor frenetischen Fans im nordniederländischen Heerenveen viele Widerstände zu überwinden sind. Über „seine Mädels“ sagte das HSV-Idol: „Auf der einen Seite glaube ich an sie. Auf der anderen Seite müssen sie alles dafür tun. 90 Prozent reichen nicht.“
Ihm gelang im Groupama-Stadion zwar der Balanceakt, auf der Lehne seines Klappstuhls zu sitzen, doch ging der Matchplan daneben. Die Nachteile der Doppelspitze mit Lea Schüller und Alexandra Popp waren für 30.267 Augenzeugen nicht zu übersehen: ständig lange Schläge aus der Abwehr, viel zu frühe Ballverluste, dazu der unbesetzte Zehner-Raum vor der Doppel-Sechs mit Lena Oberdorf und Sjoeke Nüsken. Nach Schüllers zu kurzer Kopfballabwehr jagte Kadidiatou Dani die Kugel ins Netz (41.), dann führte ein Ballverlust von Marina Hegering zu jener Situation, in der Oberdorf den von Sakina Karchaoui verwandelten Strafstoß verursachte (45.+4).
Kapitänin Popp hatte auf dem Platz lautstark über ihre Mitspielerin Oberdorf geschimpft. „Sie muss da nicht in die Grätsche gehen.“ Die 32-Jährige ärgerte sich: „Die Konstanz fehlt.“ Die deutlichsten Worte fand Giulia Gwinn, als die per Handelfmeter erfolgreiche Rechtsverteidigerin (82.) den „Angsthasen-Fußball“ der ersten Hälfte ansprach. Es wurde dann besser, doch vom Selbstverständnis einer Topnation mit Titelambitionen ist das Ensemble ungefähr noch so weit entfernt wie Lyon von Heerenveen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“