DFB-Pokalfinale geht an Leverkusen: Double fast ohne Trouble
Auch eine rote Karte konnte die Meister-Elf aus Leverkusen nicht aus dem Tritt bringen: Sie schaukelten ein 1:0 nach Hause. Lautern war zu ängstlich.
In der Halbzeitpause riefen Lauterer Fans: „Bayer ist nervös, Bayer ist nervös, Bayer, Bayer, Bayer ist nervös.“ Der Underdog aus Liga zwei hatte neue Hoffnung geschöpft, weil er nun 45 Minuten in Überzahl spielen und vielleicht sogar die Sensation im DFB-Pokalfinale schaffen würde; Leverkusens Odilon Kossounou war mit Gelb-Rot vom Platz geflogen – und wie schon im Europa-League-Viertelfinale bei West Ham United mit einer indiskutablen Leistung aufgefallen. Wieder machte es der Verteidiger aus der Elfenbeinküste seinen Kollegen unnötig schwer.
Die Lauterer Fans hofften derweil auch auf einen Wetterumschwung. Gewitter zogen auf, der Himmel im Süden der Hauptstadt zeigte ein dramatisches Wolkenbild samt Regenbogen, doch aus dem herbeigesehnten „Fritz-Walter-Wetter“ wurde dann nur ein leichtes Tröpfeln. Leverkusen brachte das 1:0 aus der ersten Hälfte über die Zeit.
Granit Xhakas Kunstschuss mit links aus gut zwanzig Metern blieb das einzige Highlight in dieser doch dürftigen Partie, die vor allem vom Drumherum lebte, dem unendlich lauten Gedröhn der Fans, die das Berliner Olympiastadion zwei, drei Stunden lang mit 120 Dezibel beschallten, sich selbst und die Mannschaften mit allem Pipapo aus dem Ultra-Handbuch für Großevents feierten. Die Lauterer mit ihrer traditionell starken Fanbase titelten in der Ostkurve vor dem Anpfiff selbstbewusst: „Kein Gegner hält uns im Zaum, die Krallen greifen nach dem Traum“. Sodann wuchs aus dem Fanblock ein riesiger roter Teufel in Hulk-Optik empor, der mit einer Forke die Konkurrenz in einem Kessel zu verrrühren schien.
Alle, auch die Journalisten, zückten ihre Handys und schossen Fotos, ein Ritual, das sich wiederholen sollte, denn die Lauterer hatten noch viel mehr zu bieten: eine Pyro-Show wie an Silvester, einen Böllerschuss, und bestimmt zehn Dutzend Bengalos und Rauchtöpfe, die sie immer dann zündeten, wenn die Sicht in der Arena wieder etwas besser wurde. Ein Dunstschleier lag über dem Spiel, der Geruch von Buna. Die Pyromanie der Lauterer provozierte nicht nur eine kurze Spielunterbrechung, sondern auch zahllose Ansagen vom Stadionsprecher, der allerdings gegen eine rote Wand anredete. Wie die Anhänger das Arsenal an Feuerwerk ins Stadion geschafft hatten, bleibt ein Rätsel, waren die Leibesvisitationen am Eingang doch alles andere als lasch. Wie man später hörte, soll sich der ARD-Kommentator Gerd Gottlob über die Räucherei dergestalt mokiert haben, dass man dies doch in Zeiten von Kriegen zu unterlassen habe.
Billig
Das ist natürlich billiger Populismus, denn die Ostkurve war zwar außer Rand und Band, aber die Gefährdungslage doch eher übersichtlich. Doch zurück zum Spiel: Meistertrainer Xabi Alonso hatte im Vergleich zum bitteren 0:3 gegen Atalanta Bergamo im Endspiel um die Europa League Jonas Hofmann und Robert Andrich wieder in die Startelf beordert und sogar eine echten Stürmer, Patrik Schick, nominiert. Abgesehen von ein paar forschen Vorstößen der Lauterer in den ersten Minuten der Partie zog Bayer Leverkusen das übliche Pass- und Ballbesitzspiel auf, der Platzverweis habe dann „das Szenario auf dem Rasen komplett verändert“, wie Alonso nachher ohne Groll anmerkte. Sein Team sei nun gezwungen gewesen, das Tempo zu drosseln und das knappe Ergebnis zu verwalten.
In einer Szene verdichtete sich das Projekt Double-Absicherung: Alonso stoppte Florian Wirtz, der das Spiel mit einem Einwurf schnell machen wollte; der Trainer umarmte seinen Kreativspieler abrupt. „Flo will immer Spaß haben, will immer schnell spielen, und ich habe ihm gesagt: Ruhig bleiben, wir müssen das Spiel beruhigen“, erklärte Alonso. Wirtz zeigte sich einsichtig: „Wir hatten das in der Halbzeit klar besprochen, dass wir das Spiel nicht unnötig schnell machen.“
So schleppte sich die Partie dahin, Lautern zog auch in Überzahl das übervorsichtige Konzept von Trainer-Altmeister Friedhelm Funkel durch und riskierte wenig, Leverkusen kam zu ein paar Chancen, die das Expected-Goal-Konto des Meisters, läppische 0,82, nicht groß fütterten. Lautern kam in dieser Statistik auf den Wert von 0,18 – was alles über den Tordrang des Zweitligisten sagt.
Während Xabi Alonso noch einmal über die schier unglaubliche Saison der Leverkusener mit nur einer Niederlage in 53 Spielen sinnieren durfte („Wir müssen es genießen, das Double ist total verdient, ich bin so dankbar für alles“), spendete das ganze mit 74.000 Menschen gefüllte Stadion Friedhelm Funkel Applaus. Der 70-Jährige verlässt nach seinem Rettungseinsatz die Roten Teufel. Er ärgerte sich nur moderat über das wieder einmal knapp verlorene DFB-Pokalendspiel „gegen einen Meister“ und kündigte halb seine Rückkehr in den Profifußball an. Elf deutsche Vereine hat er schon durch. Ein wenig Kraft müsse er jetzt tanken nach anstrengenden Wochen, aber dann geht die Tour wohl wieder los.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid