DFB-Neuling Yann Aurel Bisseck: Erstaunliche Umwege
Im Nations-League-Viertelfinale gegen Italien könnte Yann Aurel Bisseck von Inter Mailand im DFB-Team debütieren. Sein Karriereweg ist ungewöhnlich.
Das erste Training im Kreise der prominenten Mitstreiter hatte Yann Aurel Bisseck an diesem sonnigen, aber kühlen Vormittag in Dortmund-Brackel auf dem BVB-Trainingsgelände gerade hinter sich, da wartete noch der Gang durch die Mixed Zone am Gitterzaun auf den einzigen Neuling bei der deutschen Nationalmannschaft. Für den Klassiker im Nations-League-Viertelfinale gegen Italien – Hinspiel in Mailand (Donnerstag 20.45 Uhr/ARD), Rückspiel in Dortmund (Sonntag 20.45 Uhr/RTL) – eignete sich der 24-Jährige ja allein deshalb als Gesprächspartner, weil er bei Inter Mailand unter Vertrag steht – und die Serie A besser kennt als die Bundesliga.
Für den Abwehrhünen hätte es keinen besseren Zeitpunkt geben können in den erlauchten Kreis reinzuschnuppern. „Es ist ein super Gefühl, dass die Leistung anerkannt wird, die man im Verein bringt“, versicherte Bisseck. Jetzt wolle er sich im Schnelldurchgang „akklimatisieren, die Jungs und das System des Trainers kennenzulernen“.
Er müsse aber bestimmt keine Tipps geben, was im Giuseppe-Meazza-Stadion auf das Team warte. „Ich würde gerne, aber wenn man das erste Mal dabei ist, hat man geduldig zu sein“, sagte er und lachte. Ohnehin leidet da einer nicht an mangelndem Selbstbewusstsein: „Bei der WM 2026 wäre ich 25 Jahre alt. Das ist ein gutes Alter, um ein großes internationales Turnier zu spielen.“
Der gebürtige Kölner dient als bestes Beispiel, dass auch eine verschlungene Laufbahn mit Zwischenstationen in den Niederlanden, Portugal und Dänemark ans Ziel aller Sehnsüchte führen kann.
Ausgebildet beim 1. FC Köln verhalf ihm einst der Österreicher Peter Stöger drei Tage vor seinem 17. Geburtstag zum Bundesliga-Debüt. Trotzdem dauerte es danach lange bis zum richtigen Durchbruch. Leihstationen bei Holstein Kiel, Roda Kerkrade und Vitoria Guimarães brachten wenig Fortschritt. Die Versetzung in die zweite Mannschaft des portugiesischen Erstligisten ließ ihn in der schwierigen Coronazeit grundsätzlich zweifeln, ob er denn wirklich Profifußballer bleiben solle.
Er schmiedete bereits Pläne, mit einem Freund nach Berlin zu ziehen und Medizin zu studieren. Es ist anders gekommen, weil Bisseck bei Aarhus GF einen letzten Anlauf nahm. In Dänemark verteidigte er unter dem deutschen Trainer Uwe Rösler so gut, dass Inter Mailand im Sommer 2023 sieben Millionen Euro für den Kapitän der deutschen U21-Nationalelf zahlte.
90 Minuten Taktiktraining bei Inter
Vielleicht hat es diese Luftveränderung gebraucht, um sein Potenzial zu wecken. Die Defensivschule bei Inter sei wohl „die beste der Welt“, berichtet Bisseck. „Man hat auch mal 90 Minuten nur Taktiktraining.“ In diesen Tagen möchte er von Antonio Rüdiger und Jonathan Tah profitieren, „da kann man sich sehr, sehr viel auf Weltklasseniveau abgucken“.
Bundestrainer Julian Nagelsmann begründete Bissecks Berufung „mit einem guten, interessanten Karriereverlauf“. Mit Bisseck, der auch von Kamerun, dem Heimatland seiner Eltern umworben wurde, stand er länger schon in Kontakt. Der Verteidiger bringe viel Talent mit, käme allerdings gerade nicht aus einer „Topphase“. Zuletzt stand er nicht immer in der Startelf, kam aber auf 18 Einsätze in der Serie A und acht in der Champions League, wo bald das Viertelfinale gegen den FC Bayern (8. und 16. April) ansteht. Bisseck freut sich schon: „Ich bin sehr zuversichtlich. Wir sind eine starke Truppe, Bayern hat sehr starke Spieler. Wir müssen vor nichts Angst haben.“
Er ist ganz nebenbei der nächste Beleg, wie der italienische Fußball vor allem deutsche Perspektivspieler nach vorne bringen kann. Auch der fast gleichaltrige Malick Thiaw vom Lokalrivalen AC Mailand, der 2023 unter Hansi Flick debütieren durfte, ist laut Nagelsmann keineswegs abgeschrieben. Nur sind die Zeiten vorbei, dass der halbe Stamm der deutschen Nationalelf über den Brenner kam.
Ende der 80er, Anfang der 90er stieg der heutige DFB-Sportdirektor Rudi Völler als Torjäger bei AS Rom zum Volksheld auf, überdies prägten Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann als Weltstars das Erscheinungsbild bei Inter. Bisseck erzählt: „Die Legenden des Vereins sind noch sehr oft im Klub oder im Stadion. Die werden immer gut aufgenommen.“ So wie er jetzt bei der deutschen Nationalmannschaft.
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