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DEUTSCHLAND MUSS IM SICHERHEITSRAT DAS VÖLKERRECHT STÄRKENGefährliche Entwicklung

Zum zweiten Mal seit der Wiedervereinigung und der Erlangung seiner „vollen Souveränität“ nimmt Deutschland ab Januar für zwei Jahre einen Sitz im erlauchten Club des UN-Sicherheitsrats ein. Das bietet im Vergleich zur lediglichen Mitgliedschaft in der Generalversammlung eine noch größere Chance zur aktiven Mitgestaltung der internationalen Politik. Beim letzten Mal – 1995/96 – hat Deutschland diese Chance weitgehend verspielt.

Die Regierung Kohl/Kinkel nickte in der Regel die US-Politik ab und konzentrierte sich vor allem auf das Ziel eines ständigen, mit Vetomacht ausgestatteten Ratssitzes für Deutschland. Dieses Ziel ist heute so unrealistisch wie damals. Inzwischen gibt es ein weit wichtigeres Ziel, das den vollen Einsatz der deutschen Politik und Diplomatie verdiente: die Rettung des Völkerrechts, das nach 1945 ganz wesentlich unter dem Eindruck von Faschismus und Holocaust begründet wurde. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben sich inzwischen als Super-GAU für dieses Völkerrecht erwiesen. Kein anderes Ereignis der letzten 50 Jahre hat zu derart gravierenden Veränderungen bei der Interpretation und Anwendung von UNO-Charta, Genfer Konventionen und anderen zentralen Vereinbarungen geführt. Die systematisch betriebenen Vorbereitungen der USA für (Präventiv-)Kriege ohne UNO-Mandat, Russlands unverblümte Angriffsdrohung gegen Georgien, der zunehmende Vorrang, den die Bekämpfung tatsächlicher oder vermeintlicher Terroristen in vielen Ländern vor der Beachtung der Menschenrechte erhält – all dies höhlt das Völkerrecht aus und droht es gänzlich zu zerstören.

Die hierfür verantwortlichen Regierungen berufen sich in ihrem Tun bislang unwidersprochen auf die Resolutionen, die der UNO-Sicherheitsrat und die Generalversammlung nach dem 11. September einstimmig verabschiedet haben. Eine offene, selbstkritische Debatte des Sicherheitsrates und die Generalversammlung über diese gefährliche Entwicklung sind überfällig. Wenn Deutschland seinen Sitz im Rat dazu nutzt, diese Debatte zu initiieren, wäre das ein historisches Verdienst.

ANDREAS ZUMACH

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