: DER PRÄSIDENT
■ Xx
20 Jahre lang hatte der 1,60 Meter große Mann an seiner Karriere gearbeitet. Nun war er Präsident. Und das soll nun alles vorbei sein?
Politische Aktivitäten als junger Mann auf kommunaler Ebene. Redegewandt, oft laut und verletzend, schlug er Gegner und Mitkonkurrenten um Längen. Freunde nannten ihn Schlitzohr, die anderen durchtrieben und rücksichtslos. Aber neidlos mußten alle anerkennen: Er hatte Erfolg.
Und das sollte wegen einer Kleinigkeit, einer Lappalie wegen zu Ende sein?
Wie viele machthungrige Männer, die etwas zu klein geraten waren, so mochte auch der Präsident keine großen Männer leiden. Und daraus machte er auch keinen Hehl. „Langer!“, schrie er nach seinem persönlichen Sekretär, „ich brauch Sie! Und wenn ich Sie mal brauche, sind Sie nicht da.“ Er schimpfte auch dann noch weiter, als sein Sekretär längst anwesend war.
„Herr Präsident?“
„Haben Sie das mit der Zeitung erledigt? Haben Sie telefoniert?“
Der 30jährige Sekretär, ein studierter Alt-Philologe (promoviert), kniete vor dem Schreibtisch seines Chefs. Das machte er immer so. Denn dann waren ihre Köpfe in gleicher Höhe. Dazu war er zwar nie aufgefordert worden, spürte aber instinktiv, daß sein Chef das mochte.
„Natürlich habe ich mit der Zeitung gesprochen. Aber ohne Erfolg. Die wollen das morgen bringen.“
„Schande!“ brüllte der kleine Mann, „Schande über das provinzielle Bauernblatt!“, und er schlug mit der flachen Hand klatschend auf den leeren Schreibtisch. Dann stand er auf, kam um seinen Schreibtisch herum, knuffte seinen Sekretär in die Rippen. Der verzog keine Miene, obwohl es ihm wehtat. „Was sollen wir jetzt tun?“ Der untersetzte Präsident nahm seine Brille ab, fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar, kniff die Augen zusammen und sagte erneut: „Nun? Was sollen wir tun?“
„Ich weiß es auch nicht...“
„So'n großer Kerl!“, legte der Präsident los, „hat studiert, sogar Doktor - und er weiß es nicht! 8.000 Mark im Monat! Und er weiß es nicht!“
Was war passiert? Eigentlich nicht viel. So was passiert zigtausendmal am Tag. Ein Vorfall, der eigentlich kein besonderes Aufsehen hervorruft - wenn man nicht gerade Präsident ist. In den abendlichen Stunden einer Großstadt wurde der Präsident dabei beobachtet und fotografiert, wie er, getarnt mit Sonnenbrille und Schlapphut, von einem polizeibekannten Dealer ein Stück Haschisch kaufte. Mehr nicht.
„Ich habe eine Idee“, sagte der Sekretär, dem die Knie schmerzten und der mit Verlangen auf den Sessel schaute. „Eine Idee? Mein Sekretär hat eine Idee! Nun, lassen Sie mal hören!“, und er wies mit dem Zeigefinger auf den Sessel.
„Wir geben heute Abend eine Pressekonferenz. Zuvor lassen Sie sich von dem Professor, der ja Ihr Freund ist und dem Sie das Institut gegeben haben, einen Test machen. Natürlich muß das Ergebnis negativ sein.“ Der Präsident sah erstaunt auf seinen Sekretär, umfaßte mit einer Hand sein Kinn, nickte ein paarmal, sagte: „Tatsächlich. Eine gute Idee!“ und er legte einen Arm um die Schultern seines Sekretärs und sagte: „Na, und wer pinkelt für mich?“
Der große Mann rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her, wich dem Blick seines Chefs aus, schüttelte seinen Kopf: „Ich nicht!“
„Und warum nicht? Habe ich Sie nicht gefördert und wie meinen Sohn behandelt? Der Dank? Wo bleibt der Dank?“
„Ich würde ja...“, murmelte der junge Mann. „Aber ich rauche ja selbst hin und wieder einen Joint - und das kann man einen Monat nachweisen. Deshalb...“ Die besten Ideen hatte der Präsident immer selbst, sonst wäre er ja auch nicht Präsident geworden. „Rufen Sie den Professor an. Sagen Sie ihm, daß wir heute Abend in seinem Institut eine Pressekonferenz geben und sagen Sie ihm auch, daß er selbst den Test vornehmen soll!“
Alte Freunde waren sie. Zusammen auf der Universität, unzählige durchzechte Nächte voller Lust und Leid, eben Freunde. Als anerkannter Wissenschaftler der Medizin war der Professor weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Sein Labor besaß die neuesten und modernsten Geräte. „Ein falsches Untersuchungsergebnis werde ich auf keinen Fall der Öffentlichkeit präsentieren - auch für Dich nicht.“ Der Wissenschaftler schüttelte seinen Kopf, sprach dann weiter: „Auf der ganzen Welt bin ich anerkannt, ein unkorrektes Ergebnis würde mich ruinieren.“ Er machte eine kleine Pause, sah seinem Freund in die Augen, sagte dann: „Ich untersuche das, was mir vorgesetzt wird. Und wenn dein Name dransteht, dann ist es auch dein Ergebnis.“
„Verstehe. Verstehe ich ja - alles in Ordnung. Niemand verlangt von dir, daß du ein falsches Testat ausstellst“, und der Präsident lächelte seinen Freund an.
Auf einer seiner vielen Auslandsreisen hatte der Präsident in Marokko zum ersten Mal Haschisch geraucht - und war begeistert. Von da an mußte sein Sekretär während der Rauchzeremonie immer mit einem Notizblock vor seinem Chef sitzen und dessen Gedanken festhalten. Man ahnt schon, daß so die Steuer- und Gesundheitsreform entstanden sein könnte. Aber auch brauchbare Konzepte wurden diskutiert, doch nie umgesetzt. So erwähnte der Präsident einmal, daß man das Militär gänzlich abschaffen sollte: Aus Kasernen Bordelle machen, sich totvögeln sei immer noch besser, als sich totschießen. Daran und an vieles mehr mußte der Sekretär denken, als sein Chef nebst Gattin das Institut betraten.
Der kleine Saal des Instituts war gefüllt mit Journalisten, Reportern - und vom Fernsehen waren auch welche da. Die Gespräche verstummten, als der Präsident mit seinem Gefolge an das Mikrophon trat. „Meine Damen und Herren! Ich habe Sie deshalb zu dieser außergewöhnlichen Pressekonferenz eingeladen, weil behauptet wird, daß ich, ich der Präsident, Rauschgift konsumiere. Wie Sie alle wissen, bin ich ein erklärter Feind jeglicher Drogen. Und um den Rufmördern, die politische Ecke ist ja hinreichend bekannt, entgegenzutreten, bin ich heute hier in diesem renommierten Institut, um mich einem Rauschgifttest zu unterziehen. Der Professor selbst wird die Auswertung vornehmen.“
Neben dem Professor stand sein junger Assistent und hielt in seiner rechten Hand ein kleines Tablett auf dem ein leeres Reagenzglas stand. „Einen Augenblick noch, meine Damen und Herren“, sagte der Präsident. „Das Ergebnis wird in ca. einer Stunde vorliegen. Und um ihre Wartezeit zu verkürzen, habe ich Ihnen im Nebenraum einen kleinen Imbiß herrichten lassen.“ Dann verschwand der Präsident mit seiner Gattin, der Professor mit seinem Assistenten durch die rückwärtige Tür.
(...) Der Präsident nahm das Glas für den Urintest vom Tablett des Assistenten, zog seine Frau am Arm und begab sich in einen anderen Raum. „Hier!“, und er reichte seiner Frau das Glas. Sie sah ihren Mann entsetzt an, schüttelte mehrmals und heftig ihren Kopf: „Nein, das kann ich nicht!“ „Du kannst doch sonst immer. Läufst jeden Augenblick zum Klo. Also?“ Wieder schüttelte die Frau ihren Kopf, würdigte das Glas mit keinem Blick: „Ich will nicht, verstehst du? Ich will einfach nicht!“
Der Präsident ging auf sie zu, streckte ihr das Glas entgegen, sah ihr in die Augen, sagte: „Davon hängt unser aller Zukunft ab, auch deine. Und nun sei ein liebes Mädchen...“ Die Gattin sah mißtrauisch auf das Glas, bemerkte seine Angst, sagte: „Aber dann mußt du mir auch das Kollier, du weißt schon...“ „Aber sicher“, lächelte er sie an, „und nun mach‘ schon!“
Der Assistent beschriftete ein Etikett mit dem Namen des Präsidenten und klebte dieses an die Unterseite des gefüllten Glases - und brachte es dem Professor. Die Analyse war in wenigen Minuten fertigt, die Werte notiert. „Rufen Sie den Präsidenten“, sagte der Professor und der Assistent kam einen kurzen Moment später mit dem kleinen Mann zurück. „Nun, Professor, alles in Ordnung?“ Er ging lächelnd auf seinen Freund zu. „Negativ“, murmelte der Wissenschaftler. „Ja, dann können wir ja vor die Presse treten, wird auch höchste Zeit.“ „Negativ“, sagte erneut der Professor, „negativ mit weiblichen Hormonen.“
In dem Augenblick der absoluten Ruhe hörte man das fröhliche Treiben aus dem Saal. „Verstehe ich nicht...“, sagte der Präsident leise, „kaum zu glauben, aber...“ Er nahm seine Brille ab, fuhr sich mit zwei Fingern über die Augen. Der Assistent blickte dezent zur Seite. Die Präsidentengattin, die in der Tür stand und alles mitangehört hatte, errötete und zerdrückte ihre Krokohandtasche.
Einen winzigen Moment sahen sich die beiden Freunde an. Das reichte dem Präsidenten, wußte er doch, dieser Mann wird keine Ergebnisse fälschen, das ist ein Ehrenmann. Sein Blick streifte durch den Raum und blieb an dem Assistenten hängen. Der müßte mal zum Friseur, dachte der Präsident und musterte den Assistenten, sah seine verwaschene Jeans, das bunte Hemd, die Sandalen. „Kann ich Sie mal sprechen?“ Und beide gingen in den Nebenraum. Der Präsident nahm im Vorübergehen ein neues Glas mit.
Der Sekretär unterhielt inzwischen die Frauen und Männer von der Presse. Er erzählte witzige Bonmonts aus dem Leben seines Chefs. Die Stimmung war gut.
Der Assistent war blaß geworden, schaute zu Boden und rührte sich nicht von der Stelle. „Nun machen Sie schon. Die Stunde ist gleich um.“ Doch der junge Mann sah weiterhin auf seine Sandalen, schüttelte unmerklich den Kopf. „Was wollen Sie? Geld? Wieviel?“ Wieder schüttelte der Langhaarige seinen Kopf. „Gut. Ich werde Sie auch zum Professor machen. Das dauert aber eine Weile. Aber ich verspreche es Ihnen, Ehrenwort“, und er reichte dem jungen Mann seine Hand. Dieser nahm sie gar nicht wahr, hielt seine Augen geschlossen. „Aha! Ich weiß jetzt, was Sie wollen. Gut, ich werden Sie zum Minister machen. Das klappt schon. Nur die Haare müssen ab, ein ordentlicher Anzug, schwarze Schuhe... Den Rest überlassen Sie mir“, und er drückte dem Mann das Glas in die Hand.
Dem Assistenten fiel das Gefäß auf den Boden und zerschellte, Tränen liefen über seine Wangen, dann sagte er leise: „Es geht nicht... Geht einfach nicht, ich rauche doch Haschisch...“ Dem Präsidenten wurde flau in der Magengegend, er schnappte nach Luft, stützte sich auf seinen Stuhl, schluckte - und schlurfte aus dem Raum.
Eine ganze Weile sahen sich der Präsident und der Professor stumm an. „Du mußt“, sagte er zu seinem Freund und hielt ihm mit zittriger Hand ein neues Glas entgegen. Der Professor blickte müde von seinem Schreibtisch hoch, sagte leise aber bestimmt: „Nein!“ „Doch!“. „Nein! - Unmöglich!“ „Das ist mein Ruin - und du hilfst mir nicht?“ „Ich“, der Professor stand langsam auf, ging zum Fenster schaute auf den herrlichen Park, dreht sich dann herum, sagte: „Ich rauch‘ doch selbst das Zeug, seit meiner Studentenzeit, hat mir nie geschadet, im Gegenteil, aber...“, und er sah beschämt zur Seite.
Der Präsident erlitt eine Herzattacke, wurde sofort ärztlich versorgt - und trat einen Tag später aus gesundheitlichen Gründen von allen Ämtern zurück.
Joachim Burghaus, Knast Freiburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen