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DER MOSKAUER ANSCHLAG ZEIGT: TSCHETSCHENIEN-KRIEG IST NICHT VORBEISchuld ohne Beweis

Da sage mal einer, die Ermittler in Moskau könnten nicht schnell und effektiv arbeiten. Gerade einmal zwölf Stunden brauchte der Inlandsgeheimdienst FSB, um der Öffentlichkeit zwei mutmaßliche Verantwortliche für den jüngsten Bombenanschlag in der russischen Hauptstadt zu präsentieren. Und wie könnte es anders sein: Ein Tschetschene und ein Dagestaner sollen den Sprengsatz gelegt haben, der am Dienstagabend sieben Menschen tötete und 93 verletzte.

Dieses Szenario ist sattsam bekannt. Auch im vergangenen Jahr wurde eine Serie von Anschlägen in Russland, der rund 300 Menschen zum Opfer fielen, kurzerhand den Kaukasiern, oder, wie es im russischen Sprachgebrauch heißt, den Schwarzen in die Schuhe geschoben. Beweise für diese Behauptungen konnten nie erbracht werden. Doch das spielte auch keine Rolle. Entscheidend war vielmehr der bloße Verdacht, der sich wunderbar mit einem Klima aus diffuser Angst verband: Vor dieser Folie blies die Regierung zu einer Neuauflage des möderischen Krieges in Tschetschenien – und konnte sich so auch noch der Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung sicher sein.

Die Gemengelage ist auch heute nicht anders. Dass Präsident Wladimir Putin gleichwohl gerade jetzt vor voreiligen Verurteilungen und Schuldzuweisungen warnt, lässt aufhorchen. Zumal es eher unwahrscheinlich ist, dass der Mann, der noch als Premierminister die „tschetschenischen Banditen auf dem Abort kaltmachen wollte“, plötzlich geläutert sein soll. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass der Staatschef das tschetschenische Problem direkt vor seiner Haustür derzeit überhaupt nicht gebrauchen kann. Aus gutem Grund. Immerhin werden die Russen so auf unsanfte Weise daran erinnert, dass die Schlacht, die schon so oft für siegreich beendet erklärt wurde, noch längst nicht geschlagen ist und täglich neue Opfer fordert.

Das wird auch in naher Zukunft so bleiben. Ändern hingegen dürfte sich die Lage in Moskau. Denn für den dortigen Statthalter Juri Luschkow ist die Schuldfrage bereits jetzt eindeutig geklärt und die Suche nach Beweisen überflüssig. Die nächste Runde des Kampfes gegen die Kaukasier ist damit schon eingeläutet. BARBARA OERTEL

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