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DER GRÜNE STREIT UM „NIEDRIGLÖHNE“ SCHEINT BEIGELEGTWeiterhin: Grauzone

Selten wurden Grüne so rasch zurückgepfiffen wie Fraktionschef Rezzo Schlauch. Der hatte gefordert, in bedrohten Unternehmen sollten Betriebsräte über Lohnverzicht verhandeln können. „Schlauchs Angriff auf die Tarifautonomie ist eine strategische Dummheit“, protestierten Grüne mit einer langen Unterschriftenliste. Mit den Gewerkschaften in der Frage der Tarifautonomie auf Konfrontationskurs zu gehen sei „ein falsches Signal“.

Jetzt hat sich der Pulverdampf verzogen – und ein zweiter Blick auf die grüne Diskussion lohnt. Denn einerseits war die Abwehrreaktion berechtigt. Schließlich hätte Schlauchs Vorschlag harte tarifrechtliche Konsequenzen. Aber der Vorstoß implizierte auch etwas Grundsätzlicheres, und es ist schade, dass dies nun völlig im Protestgeschrei untergegangen ist. Mit dem Vorschlag, der ursprünglich von grünen Wirtschaftspolitikerinnen kam, wollten diese den Blick auf Grauzonen lenken – etwa Unternehmen, die nahe am Konkurs stehen. Dort wollten sie eine neue politische Verhandlungsebene einziehen.

Der Vorstoß mag missglückt sein – die Grauzonen in der Arbeitswelt aber bleiben. Die Betroffenen müssen sich darin ohne politischen Schutz bewegen. In Ost-Unternehmen etwa arbeiten heute schon viele ArbeiterInnen länger, als ihre tarifliche Wochenarbeitszeit vorsieht. Tausende von Angestellten und Honorarkräften in projektorientierten kleinen Firmen schieben hunderte unbezahlter Überstunden. Hunderttausende von Kleinunternehmern krebsen am Existenzminimum herum, weil sei dem Markt schutzlos ausgeliefert sind. Die Grauzonen in der Arbeitswelt sind das politische Thema der Zukunft – und für die Grünen wäre es sinnvoll, wenn sie es für sich besetzen könnten.

Warum nicht mal eine politische Kampagne gegen mancherorts gezahlte Minilöhne in Speditionen, Einzelhandel oder auf dem Bau starten? Warum nicht politisch darüber streiten, welche Auffangmöglichkeiten es für vorübergehend in Not geratene Alleinunternehmer gibt, ohne dass diese gleich an die harten Bedingungen des Sozialhilfebezugs geknüpft sind? Warum nicht mal laut politisch über bessere Organisationsmöglichkeiten für hunderttausende von Honorarkräften in Medien, Bildung und Gastronomie nachdenken?

Anstatt die Problematik der Grauzonen mit einem „Niedriglohnstreit“ auf unterstem Niveau zu beerdigen, sollten die Grünen sich öfter mal in der Wirklichkeit umschauen. Nur ein bisschen. Es lohnt sich. BARBARA DRIBBUSCH

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