DER BUNDESTAGSPRÄSIDENT SCHADET DEM ANSEHEN DER ABGEORDNETEN : Tausche Transparenz gegen Diät
Vielleicht ist die große Koalition am Ende doch zu etwas gut. Geht Schwarz-Rot doch nun endlich ein Problem an, dessen Lösung in den vergangenen Jahren aussichtslos erschien: Bei der Frage, wie viel Geld Politiker für ihre Bemühungen im Auftrag der Wähler erhalten sollen, sind alle Versuche zur Veränderung des Status quo bislang gescheitert.
Dabei sind sich Politiker und Fachleute in diesem Punkt ungewohnt einig. Dass eine üppige Altersversorgung schon nach vergleichsweise kurzer Tätigkeit nicht mehr in eine Zeit passt, in der bei Renten und Pensionen ständig gespart wird – das bestreitet niemand mehr. Deshalb ist es durchaus vernünftig, wenn die beiden großen Bundestagsfraktionen jetzt im Bund nachahmen wollen, was der nordrhein-westfälische Landtag im Frühjahr schon vorgemacht hat. Dort sorgen die Abgeordneten jetzt selbst fürs Alter vor, zudem wurden Steuerprivilegien gestrichen. Im Gegenzug erhalten die Parlamentarier in ihrer aktiven Zeit mehr Geld – ein Punkt, der bislang stets zu Neiddebat- ten animierte und damit jede Neuregelung verhinderte.
Eines sollten die Abgeordneten und ihr oberster Repräsentant, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), dabei allerdings bedenken: Ordentlich bezahlt werden sie vom Steuerzahler nicht zuletzt zu dem Zweck, dass sie bei der Wahrnehmung ihres Mandats nicht auf materielle Eigeninteressen Rücksicht nehmen müssen. Kurz vor der Sommerpause erst hat der Bundestag entsprechend verschärfte Regeln über die Meldepflicht von Nebentätigkeiten aufgestellt.
Dass Lammert diese Regeln kurz nach der Wahl jetzt wieder aufweichen will, ist mehr als dreist. Lammert agiert wie die neuen Bundesminister, die zu Beginn ihrer Amtszeit die Sympathien ihrer Untergebenen erobern, indem sie deren Eigeninteressen vehement verteidigen – ob der Außenminister die steuerfreien Auslandszuschläge seiner Diplomaten rettet oder der Verteidigungsminister mehr Geld für seine Soldaten fordert. Im Parlament ist solcher Eifer fehl am Platz. Wenn Lammert etwas für das Ansehen der Abgeordneten tun will, sollte er für Transparenz eintreten, statt der Geheimniskrämerei das Wort zu reden. RALPH BOLLMANN