DER BUNDESFINANZHOF ERZWINGT EINE SOZIAL GERECHTE STEUERREFORM: Erben verpflichtet – erst nach der Wahl
Seit bald zehn Jahren steht der Finanzminister vor dem weit geöffneten Tor zu einem Schlaraffenland, über dem in dicken Lettern „Erbschaftsteuer“ steht. Er muss nur hindurchgehen und sich dort den Wanst voll schlagen. Aber nein, er rührt sich nicht vom Fleck. „Hey, Minister, los jetzt“, mag man rufen, „das ist die einzige praktikable Art, wie du Vermögen besteuern kannst!“ – nein, er bewegt sich nicht. Zwar dürfte ihm von Amts wegen nichts peinlich sein, aber er mag den Toten nicht ans Konto. Dabei macht es denen am wenigsten aus.
Jetzt wird er mal wieder angeschubst. Deutschlands oberstes Steuergericht, der Bundesfinanzhof, hält die Erbschaft- und die Schenkungsteuer in der aktuellen Version für verfassungswidrig, weil Betriebsvermögen, Immobilien und Firmenanteile zu gering besteuert würden. Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Wenn die Karlsruher Richter ihrer bisherigen Richtung treu bleiben, werden sie wohl dafür sorgen, dass, wer auch immer die Wahl gewinnt, schon bald die Erbschaftsteuer so reformieren wird, dass sie kräftig steigende Einnahmen bringt.
Schon bei der letzten Reform 1996 hätte das so sein sollen. Aber die Reichtumslobbyisten von der FDP packten dem damaligen Finanzminister Theo Waigel so viele Ausnahmeregeln ins Gesetz, dass nur diejenigen Erben blechen müssen, deren Eltern fürs Testament keine Steuerberater engagiert hatten. Noch immer liegt der reale Steuersatz auf Erbschaften deshalb unter fünf Prozent – ein geradezu lächerliches Honorar für die Leistung, mit der der Staat den Aufbau der betreffenden Vermögen ermöglicht hat. Denn sosehr auch jeder Einzelne auf seine Lebensleistung stolz sein mag: Die letzten 54 Jahre mit Wachstum und Wohlstand, ohne Krieg und ohne Hyperinflation gehen nicht aufs private Konto, sondern aufs staatliche.
Keine Steuererhöhung wäre so wenig unpopulär wie eine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Denn egal wie sie aussieht, unser Oma ihr klein Häuschen wird auch weiterhin dem Fiskus nicht zum Fraß vorgeworfen werden – da passt das Bundesverfassungsgericht schon auf. DETLEF GÜRTLER
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