piwik no script img

DEBATTEBeschleunigung oder Verzögerung?

■ Im Entwurf für ein neues Asylverfahrensgesetz steckt eine perfide Spekulation

Günter Renner, Vorsitzender Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof und Verfasser des gängigsten juristischen Kommentars zum Ausländer- und Asylrecht, hat jüngst zu dem Bonner Entwurf eines Asylverfahrensgesetzes gesagt: „Er ist eine Mogelpackung. Die Verfahren werden damit nicht beschleunigt. Gleichzeitig schränkt er die Rechte von Flüchtlingen teilweise unzumutbar ein. Und einige seiner zentralen Regelungen sind verfassungswidrig.“

Glücklicherweise sind immer mehr derartige Äußerungen auch aus Kreisen hoher Richter zu hören. Auch diese Stimmen befassen sich aber bedauerlicherweise nicht mit dem Elend des schon bisher geltenden Asylrechts.

Die Erfahrung der mit Asylverfahren befaßten Anwälte und Anwältinnen zeigt nämlich, daß schon in der Vergangenheit eine große Anzahl von tatsächlich politisch Verfolgten mit einer Vielzahl von Tatsachenverdrehungen und immer neuen juristischen Winkelzügen abgewiesen wurde — Tendenz steigend. Nur so konnte es zu den statistischen Zahlen über die Anerkennungsquoten kommen, die ständig zum „Beweis“ für die angeblich zu hohe Zahl von „Scheinasylanten“ gehandelt werden.

Etwa acht Prozent aller Asylbewerber werden vom Bundesamt in Zirndorf anerkannt. Weitere sieben Prozent erreichen vor Gericht ihre Anerkennung. Doch auch von den abgelehnten Bewerbern erhält mehr als ein Drittel ein Bleiberecht, und fast ein Fünftel wird aus humanitären Gründen geduldet. Insgesamt bleibt also gut die Hälfte der Asylbewerber letztendlich legal in Deutschland. So drängt sich der Schluß auf, daß es die staatlichen Stellen sind, die das Asylrecht mißbrauchen, indem sie es permanent einschränken und verkomplizieren und die auf dem Rücken der Bewerber symbolische Politik betreiben.

Die „Freiburger Anwaltserklärung zur Asylpolitik“ vom Januar 1992 benennt unter anderem die folgenden Beispiele für die juristischen Kniffe, die das geltende Asylrecht bereithält.

Bis zum Januar 1986 wurden Asylbewerber auch dann anerkannt, wenn sie sich erst durch Tätigkeit in der BRD der Gefahr politischer Verfolgung durch den Heimatstaat ausgesetzt hatten. Dies hat sich mit dem Urteil des Bundesverfasungsgerichts vom 36.11.1986 geändert. Seither sind exilpolitische Aktivitäten als sogenannte „subjektive Nachfluchtgründe“ in der Regel unbeachtlich, wenn der Flüchtling bei der Ausreise zwar noch nicht verfolgt war, aber im Fall der Rückkehr wegen exilpolitischer Betätigung mit Verfolgung rechnen muß. Anderes gilt nur dann, wenn sich die exilpolitische Tätigkeit als „Ausdruck und Fortführung einer schon im Heimatstaat erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellt, mithin als Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung erscheinen.“ Die Maßstäbe, die die Gerichte an eine „feste politische Überzeugung im Heimatstaat“ stellen, sind häufig so hoch, daß nur Personen mit höherer Bildung sie erfüllen können. Es werden Einzelheiten der Parteistruktur, Daten der Gründung und Spaltung der jeweiligen Parteien etc. abgefragt. Beispielsweise einfachen kurdischen Dorfbewohnern aus der Südosttürkei, oft Analphabeten, die die Unterdrückung des türkischen Staates tagtäglich erfahren und deshalb die PKK unterstützen, wird nach diesen Kriterien häufig eine feste politische Überzeugung und damit das Asylrecht abgesprochen. Aber: Wem wegen exilpolitischer Tätigkeit (asylunerhebliche) politische Verfolgung droht, darf nach der Ablehnung gleichwohl nicht abgeschoben werden. Er genießt nämlich den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention und wird nach den Regeln des sogenannten „kleinen Asyls“ geduldet. Das zeigt, daß das angeblich so großzügige deutsche Asylrecht mittlerweile weit hinter die Genfer Flüchtlingskonvention zurückgefallen ist.

Das Asylrecht kann kein Ersatz für Ausländerpolitik sein

Nach der Rechtsprechung stellen in einem Bürgerkrieg auf staatliche Herrschaftssicherung gerichtete Maßnahmen nicht schon für sich alleine politische Verfolgung dar. Ein Anspruch auf Asyl ist nur gegeben, wenn die kriegerischen Maßnahmen nicht alle Betroffenen gleichmäßig treffen sollen, sondern einzelne oder bestimmte Gruppen zum Beispiel aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Religion einer Sonderbehandlung ausgesetzt werden. Voraussetzung ist aber, daß die Verfolgung von der überlegenen staatlichen Macht ausgeht. Das ist nicht mehr der Fall, wenn der Staat die effektive Gebietsgewalt verloren hat und faktisch nur noch eine Bürgerkriegspartei unter anderen darstellt. Diese Konstruktion läuft darauf hinaus, daß die Chancen eines Asylantrages um so schlechter werden, je mehr sich ein Konflikt zuspitzt, je schutzbedürftiger also die Bürgerkriegsopfer werden. Bürgerkriegsopfer erhalten in der Regel mangels politischer Verfolgung auch nicht das „kleine Asyl“ nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Gleichwohl dürfen sie nicht abgeschoben werden, weil das gegen die Menschenwürde verstieße. Humaner wäre es, von vornherein jährlich bestimmte Kontingente von Bürgerkriegsopfern aufzunehmen und ihnen so den Weg durch aussichtslose Asylverfahren zu ersparen.

Der Gesetzgeber hat als „Beschleunigungsinstrument“ die Abweisung von Asylanträgen als unbeachtlich eingeführt. Vorläufiger Rechtsschutz muß in solchen Fällen binnen einer Woche beantragt werden. Wehrt sich ein Asylbewerber gegen die ablehnende Entscheidung der zunächst zuständigen Ausländerbehörde, müssen Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht durchgeführt werden, die im — häufigen — Erfolgsfall dazu führen, daß nunmehr — nach Ablauf einer Zeitspanne von bis zu einen Jahr — das Anerkennungsverfahren vor dem Bundesamt anläuft. Nach dessen etwa negativem Ergebnis folgt das Klageverfahren, gegebenenfalls erneut verbunden mit Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz. Tatsächlich verzögert also die angebliche „Beschleunigung“. In Wahrheit geht es jedoch nicht um „Beschleunigung“ in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren. Schon hinter früheren Beschleunigungsnovellen steckte die perfide Spekulation, der größte Teil der Antragsteller könnte wegen der extrem kurzen Fristen und der hohen formalen Anforderungen schlichtweg überfahren und abgeschmettert werden. Auch die nun geplanten Änderungen des Asylrechts haben wieder das Ziel, „Beschleunigung“ dadurch zu erreichen, daß immer weniger Asylsuchende die Chance nutzen können, von den eingeräumten Rechtsmitteln auch Gebrauch zu machen. Beschleunigung durch Verweigerung des Rechtswegs ist jedoch verfassungs- und völkerrechtswidrig. Abschließend bleibt festzuhalten, daß der „Mißbrauch des Asylrechts“ Folge der bisher betriebenen Ausländerpolitik ist. Solange es nur auf dem Weg des Asylrechts möglich ist, auch nur für die Dauer des Asylverfahrens einen legalen Aufenthalt in der BRD zu erreichen, so lange werden Menschen, die als Opfer von Bürgerkriegen oder aus Not ihr Heimatland verlassen, zu diesem Mittel greifen. Für das Problem europäischer wie weltweiter Flüchtlingsbewegungen stellt das Asylrecht jedoch keine taugliche Lösung dar. Wir brauchen eine andere Ausländerpolitik, die die tatsächliche Dimension politischer Verfolgung und die Lebensrealitäten der Flüchtlinge anerkennt. Geboten ist etwa eine Vereinfachung des Asylrechts in Gestalt erleichterter Anerkennung bei Kriegsdienstverweigerung, exilpolitischer Tätigkeit und Gruppenverfolgung (zum Beispiel von Kurden). Notwendig ist ferner die Nutzung des vorhandenen ausländerrechtlichen Instrumentariums zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus verschiedener Flüchtlingsgruppen außerhalb des Asylrechts, durch zum Beispiel unbürokratische Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen für Bürgerkriegsopfer aus Jugoslawien.

Nicht länger darf das Asylrecht Politikern überlassen werden, die vor allem ihr Heil in der Ausgrenzung ausländischer Mitbürger suchen.

Für die Unterzeichner der „Freiburger Anwaltserklärung zur Asylpolitik“: MichaelSchubert,

Andreas Hänlein

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen