piwik no script img

DDR muß dritten Weg gehen

Walter Momper über Rot-Grün und Ost-West  ■ I N T E R V I E W

taz: Die objektive Lage für Rot-Grün ist so günstig wie nie. Der Kapitalismus boomt, im Ost-West-Verhältnis ist viel in Bewegung, die Zeit schreit nach phantasievoller Reformpolitik. Warum beschäftigt sich die Öffentlichkeit in der Stadt trotzdem im wesentlichen mit den Bücherregalen einer Senatorin, die von der Schreinerei der Schaubühne statt von einem Handwerker in ihre neue Wohnung eingepaßt wurden, oder mit den Glücksspielen einer anderen Senatorin?

Walter Momper: Ich bitte darum, nicht den Fehler zu begehen, die Schlagzeilen der Zeitungen mit der öffentlichen Diskussion in der Stadt zu verwechseln. Es geht doch in der Öffentlichkeit um Fragen der ökologischen Stadtpolitik, der Wende, der Veränderung in der Verkehrspolitik. Das wird aufgehängt an Tempo 100, an Busspuren, an Fragen wie BVG -Fahrzeiten. Dort materialisiert es sich auch, darum dreht sich die gesellschaftliche Diskussion in der Stadt.

Weil der Kapitalismus im Moment boomt, die Auftragsbücher voll sind, ist die Zeit für Reformen gerade im zentralen Bereich der Wirtschaft günstig. Wodurch unterscheidet sich in dieser Situation der wirtschaftspolitische Ansatz von Rot -Grün vom alten Senat?

Man kann Reformen nicht nur dann machen, wenn die Konjunktur gut läuft. Es gibt im übrigen eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Reformen, die nicht immer unbedingt Geld kosten und für die hohe Steuereinnahmen die Voraussetzung sind. Außerdem: Die Konjunktur läuft zwar gut, aber wir haben gleichzeitig noch 80.000 Arbeitslose. Außerdem fehlen zwischen 30.000 und 60.000 Wohnungen. Es gibt eine ganze Reihe von materiellen Problemen, die nur langsam und nicht ganz einfach gelöst werden können. Reformchancen möchte ich von der Konjunktur abkoppeln. Wirtschaftspolitisch ist nach wie vor unser Schwerpunkt der ökologische Stadtumbau, die Intensivierung des S- und U -Bahnbaus, dichtere Zugfolgen bei der BVG. Da liegen die Möglichkeiten, von Staats wegen neue Arbeitsplätze zu schaffen, auch durch mehr Wohnungsbau.

Welche wirtschaftspolitischen Signale gehen denn vom rot -grünen Senat aus. Es kann ja nicht nur um den ökologischen Stadtumbau, es muß doch auch um den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft gehen. Gibt es Programme in diese Richtung?

Wir sind entschlossen, alle Maßnahmen der Förderung ökologisch verträglicher Produktion zu ergreifen. Dabei geht es in allererster Linie um die Förderung flächensparender Produktion. Außerdem wollen wir energiesparende Produktion fördern und all das, was abfallmindernd wirkt. Solche Programme sind in Arbeit.

Der Schreck über das Aufkommen der REPs sitzt tief. Politische und gesellschaftliche Antworten darauf fehlen. All den Modernisierungsverlierern, den jugendlichen Arbeitslosen, hat der Senat denen eine Perspektive zu bieten?

Es ist nicht verwunderlich, daß nach langen Jahren konservativer Regierung ein Drittel der Gesellschaft aus dem sozialen Netz ausgegliedert worden ist und diese Menschen dann ihr Heil bei rechtsradikalen Parolen suchen. Wir müssen die materielle und soziale Lage dieser Menschen verbessern und ihnen wieder eine Perspektive geben. Die kann man nicht mit schönen Worten und tollen Zukunftsprogrammen finden, sondern durch eine reale Verbesserung ihrer materiellen Lage. Es geht um Arbeitsplätze für Jugendliche, die rausgefallen sind aus dem wirtschaftlichen Leben. Ihnen müssen dafür die entsprechenden Hilfen gegeben werden. Zweitens geht es um die Wohnungsnot. Daran bildet sich zum Beispiel Ausländerhaß. Wir müssen mehr Wohnungen bauen. Und es gibt da ehrgeizige Vorhaben des Senats. Außerdem: Wer diese REP-Wähler alle abstempelt als Neofaschisten, der verbaut sich den Zugang zu den Problemen, die diese Menschen wirklich bewegen, und auch zu ihrer Erfahrungswelt. Zur sozialen und ökonomischen Ausgrenzung dieser Menschen darf nicht noch eine politische und gesellschaftliche hinzukommen.

Der Herbst bringt möglicherweise eine Auseinandersetzung über Ausländerpolitik, die zu einer gesellschaftlichen Polarisierung führt. Neuer Ausländererlaß und kommunales Wahlrecht sind die Stichworte. Besteht nicht die Gefahr, daß in dieser Auseinandersetzung die Ausländer zum Objekt einer Links-rechts-Polarisierung werden? Wird sich am Fahrplan des Senats, beide Projekte im Herbst anzugehen, etwas ändern?

Man verhindert gesellschaftliche Auseinandersetzungen nicht, indem man klein beigibt oder alles verschiebt. Wir müssen deutlich machen, daß zur Integration der Ausländer auch das kommunale Wahlrecht gehört. Die Überfremdungsängste müssen allerdings den Leuten genommen werden. Außerdem muß die Konkurenz um Arbeitsplätze und Wohnungen aufgehoben werden. Dann kann es auch eine entspanntere Situation geben.

Das kommunale Wahlrecht ist ja durch eine Verfassungsgerichtsentscheidung bis zum Sommer nächsten Jahres blockiert. Ist es denn sinnvoll, es trotzdem im Herbst anzugehen?

Man kann immer mit einem Gesetzgebungs- und Erörterungsverfahren beginnen. Man braucht ja dafür lange Vorläufe. Das geht nicht von heute auf morgen. Da müssen Anhörungen und Gutachten gemacht werden. Es muß sich einpassen in die Rechtsordnung. Und natürlich ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in bezug auf die schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen auch für uns in Berlin ein Ergebnis, auf das wir Rücksicht nehmen müssen.

Am Fahrplan wird also festgehalten?

Was heißt Fahrplan? Ich kenne einen Entwurf der Alternativen Liste für ein solches Gesetz, aber das kann ich noch nicht einmal beurteilen, weil es keine Gutachten, keine Bewertung dazu gibt. Ich habe noch keinen Referentenentwurf aus Senatskreisen gesehen.

Berlin ist immer ein Ort, von dem Impulse für das Ost-West -Verhältnis ausgehen. Im Moment haben wir eine Situation, in der sich in Ostmitteleuropa sehr viel bewegt. Nur in der DDR wird dieser Reformprozeß abgeblockt. Welche Signale können in dieser Situation von West-Berlin ausgehen?

Die DDR kann ihre eigene Situation nur durch Maßnahmen ihrer eigenen Führung verbessern. Auch die DDR wird nicht daran vorbeikommen, die notwendigen Reformen anzugehen, analog zu dem, was sich in anderen Ländern Osteuropas vollzieht. Die Führung der DDR wird angesichts der aktuellen Fluchtbewegung noch zu dieser Einsicht kommen müssen. Nur Reformen werden den Menschen in der DDR eine Perspektive geben und insgesamt zur Verbesserung der Lage dort führen.

Was können wir dazu beitragen?

Wir können die Rahmenbedingungen dafür erleichtern. Wir dürfen die europäische Nachkriegsordnung nicht in Frage stellen und müssen weiterhin von der Zweistaatlichkeit Deutschlands und auch von der Angehörigkeit zu verschiedenen Militärblöcken ausgehen. Neben der Forsetzung der Abrüstungspolitik geht es um ökonomische Hilfe, die wir beim Umbau des Wirtschaftssystems geben können. Private Investitionen, die öffentlich abgesichert sind, gekoppelt an einen Prozeß der Änderung des Wirtschaftssystems, wie in Polen. Das Ergebnis des notwendigen Reformprozesses - und das zeigt Ungarn - ist ein dritter Weg. Im übrigen: Die in der SED verbreiteten Ängste vor einem mit Reformen einhergehenden Legitimationsverlust des Staates DDR teile ich nicht. Die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Legitimation der DDR ergibt sich auch machtpolitisch, als Ergebnis der Folgen des Zweiten Weltkriegs. Europa kann sich und will sich nicht leisten, daß wieder ein deutscher Nationalstaat nach altem Muster entsteht, der aus der Sicht vieler Ost- und Westeuropäer eine unkontrollierbare Machtzusammenballung ist. Es gibt sowohl gesellschaftliche als auch machtpolitische Gründe dafür, daß die DDR einen dritten Weg geht. Es wird doch dann erst problematisch - und das versuchen einige immer wieder - wenn die nationale Frage vor die Frage der gesellschaftlichen Reformen gestellt, oder beides verknüpft wird. In Ost- und Westeuropa will niemand eine Weidervereinigung, verständlich nach zwei Kriegen, die das Deutsche Reich in den Grenzen von 1871 angezettelt hat.

In Ost-Berlin soll eine SPD gegründet werden. Begrüßen Sie das, oder ist es schädlich?

Mit Parteigründungen durch kleine Gruppen kann in der DDR jetzt gar nichts bewegt werden. Wichtig ist, daß sich der Reformdruck in der Bevölkerung der DDR und in Teilen der SED endlich in der Spitze der Staatspartei durchsetzt. Denn die SED hat in der DDR tatsächlich die Macht, und sie wird sie in absehbarer Zeit behalten. Änderungen gehen nur über diesen Weg.

Interview: mtm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen