DDR-Stauffenberg-Darsteller: Der gebrochene Held
Der Schauspieler Peter Köhncke hat in der DDR den Hitler-Attentäter Stauffenberg gespielt. Im wahren Leben war er kein offener Widerständler - auch er scheiterte an der Macht eines Regimes.
Nicht nur die Taten von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, auch die anderer Widerständler wurden seit Ende des Zweiten Weltkrieges verfilmt:
Die Weiße Rose: Die Geschwister Sophie und Hans Scholl verfassten 1942 bis 1943 sechs Flugblätter, in denen sie zum Widerstand gegen das NS-Regime aufriefen. Von ihren Taten und ihrem Tod erzählen drei deutsche Filme: Michael Verhoevens "Die Weiße Rose" und Percy Adlons "Fünf letzte Tage", beide 1982, sowie Marc Rothemunds "Sophie Scholl - Die letzten Tage" aus dem Jahr 2005.
Georg Elsner: Am 8. November 1939 verübte der Schreiner im Münchner Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Adolf Hitler. Klaus Maria Brandauer nahm sich seiner Geschichte 1989 in "Georg Elsner - Einer aus Deutschland" an.
Erwin Rommel: Obwohl seine Beteiligung am Hitler-Anschlag vom 20. Juli 1944 umstritten ist, wurde der General vor allem in US-Filmen stets als Held gefeiert, unter anderem 1951 in "Rommel, der Wüstenfuchs" und 1990 in dem TV-Film "The Plot
to Kill Hitler".
Die Edelweißpiraten: Die Angehörigen der Jugendbewegung verweigerten die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend und halfen geflohenen Kriegsgefangenen und Juden, sich zu verstecken. "Edelweißpiraten" zeigte 2004 die Ereignisse um die Gruppe im Kölner Stadtteil Ehrenfeld.
An einem Sommertag im Jahr 2007 hört Peter Köhncke in einem Salon in Berlin-Mitte einen Vortrag. Es geht um den 20. Juli 1944, jenen Tag, an dem Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg versuchte, Adolf Hitler mit einer Bombe zu töten. Ein entfernter Verwandter der Stauffenbergs ist gekommen. Der Mann, weit über 90, erzählt eindrucksvoll, und Köhncke ist aufgewühlt. Er beschließt, sich den Bendlerblock in Tiergarten anzuschauen, den Ort, an dem Stauffenberg standrechtlich erschossen wurde. Obwohl Köhncke seit vielen Jahren in Berlin wohnt, war er noch nie dort.
Als er in der heutigen Gedenkstätte Deutscher Widerstand am Reichpietschufer ankommt, herrscht dort Trubel. Jemand eilt auf ihn zu: "Nicht stehen bleiben." Köhncke sieht Kameras und Scheinwerfer. Und dann Tom Cruise, wie er über den Hof im Bendlerblock geht. Der Hollywoodstar trägt eine Naziuniform und eine schwarze Klappe über dem linken Auge. Köhncke stutzt, er weiß nicht, dass hier "Operation Walküre" gedreht wird. Cruise spielt die Hauptrolle. Köhncke ist keiner, der sich an Drehorte drängelt und Stars auflauert. Im Gegenteil, er meidet Plätze, an denen gefilmt wird. Aber diesmal bleibt er.
Das, was er sieht, reißt ihn zurück in die eigene Vergangenheit, unverhofft und ungewollt. Denn Köhncke ist selbst Schauspieler, hat auch einmal den Stauffenberg gemimt, 1964 im semidokumentarischen DDR-Fernsehfilm "Revolution am Telefon" von Karl Gass. Für einen kurzen Moment ist Köhncke stolz darauf. Es gab nur vier Stauffenberg-Filme bald nach dem Krieg. Seinen und zwei Jahre später einen zweiten in der DDR: "Ohne Kampf kein Sieg" mit Alfred Struwe. In der Bundesrepublik kamen 1955 zwei Streifen in die Kinos, einer mit Bernhard Wicki und der andere mit Wolfgang Preiss. Köhncke ist der einzige der vier Stauffenberg-Darsteller, der noch lebt. Er könnte also einiges erzählen. Aber an früher, an die DDR, möchte er eigentlich lieber nicht erinnert werden.
Die Geschichte des Peter Köhncke ist eine eigenartige Geschichte. Keine, die von strahlendem Heldentum berichtet oder von offenem Widerstand. Sie erzählt davon, wie Menschen wie er in der DDR fertiggemacht wurden, nur weil sie anders als die Masse waren. Köhncke sitzt in der Lobby des Westin Grand Hotels in der Berliner Friedrichstraße. Er trägt eine kleine, schwarze Kappe, das Haar darunter ist voll und grau. Er sieht aus wie ein besser verdienender Hotelbewohner. Und ist doch nur ein einfacher Gast für diesen Abend, ein gebrochener Mann, der versucht, das nicht zu zeigen. Wenn er auf die Straße geht, macht er sich zurecht. Er trifft sich an Orten wie diesem Hotel, das ihn in eine Zeit zurückträgt, in der er erfolgreich war. Heute kennt ihn niemand mehr.
Seit zwanzig Jahren hat er kein einziges Drehangebot bekommen und auch keine Bühnenrolle. Dabei war er einmal ein gefragter Künstler. Vor ihm liegt eine dicke Mappe mit vergilbten Filmankündigungen, Zeitungsrezensionen, Theaterprogrammheften. Für die ganz große Partie hat es zwar nie gereicht hat, aber Köhncke hat viele kleine und tragende Nebenrollen gespielt: "Lotte in Weimar", "Der Dritte", "Das unsichtbare Visier", insgesamt 47 Kino- und Fernsehfilme. Er hat mit wichtigen Regisseuren gearbeitet: Frank Beyer, Egon Günther, Horst Seemann. Er war an zahlreichen Theatern engagiert: Schwerin, Halle, Greifswald, er spielte Xerxes, Orest, Ferdinand. "Das ist alles nicht mehr wahr", sagt Köhncke.
Er war nie ein Freund der DDR. Peter Köhncke, 1935 in Schwerin geboren, fand es anmaßend, Frauen und Männer beobachten zu lassen und willkürlich zu verhaften, dass sie eingesperrt wurden, auch schon, als es die Mauer noch nicht gab. Doch er zeigte nicht, dass er den Kleingeist und die Enge des Landes nicht mochte. Heute sagt er: "Ich war eine Person der Reserviertheit." Seine Opposition drückte sich einzig in seinem christlichen Glauben aus. Ein offener Affront, selbst für einen Künstler. Und er wollte immer nur weg.
Am Abend des 12. August 1961 ging er in Berlin ins Pressecafé am Admiralspalast. Er hatte eine kleine Tasche dabei. Es sollten seine letzten Stunden werden in der Ostzone, außer ihm wusste das niemand. Er wollte sich nur noch von einem Freund verabschieden. Die beiden saßen und tranken, es sollte ja wie ein normaler Abend aussehen. Es wurde Mitternacht, und jemand rannte in den Klub: "Die haben eine Mauer gebaut." Köhncke stockte das Blut in den Adern. Eine Mauer? Es vergingen einige Sekunden, bis er begriff, dass er seine Chance auf ein neues Leben versoffen hatte.
Wer etwas von seinem Fluchtversuch wusste, ist ungewiss. Fakt ist, dass Köhncke das Arbeiten fortan immer schwerer gemacht wurde. Er sollte in die SED eintreten und in die Gewerkschaft, aber er weigerte sich. Er sollte sich fest an ein Theater binden, doch er wollte freischaffend bleiben. Er zog durch die gesamte Republik, immer den Rollen hinterher.
Im Februar 1964 kam es zu einer offenen Auseinandersetzung mit der Theaterleitung in Greifswald. Damals wurde "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth erstmals in der DDR aufgeführt. Köhncke spielte den Jesuitenpater Riccardo Fontana, er sollte ihn als einen schnoddrigen Alten mit Buckel geben. Das lehnte Köhncke ab. Er stellte sich auf die Bühne, breitete die Arme aus und rief: "Schaut mich an, bin ich so einer? Bin ich ein Unmensch?"
Was folgte, klingt wie aus einem schlechten Teil der DDR-Justizserie "Der Staatsanwalt hat das Wort". Gagen wurden nicht überwiesen, Köhncke überzog sein Konto, er wurde von der Polizei abgeholt und angeklagt wegen Wirtschaftsverbrechen, sein Pass wurde gestohlen, er bekam kaum noch Rollen. Durch den Stauffenberg war Köhncke auch international bekannt geworden, aber es nutzte ihm nichts. Nachdem der russische Regisseur Juri Oserow für seinen Fünfteiler "Befreiung" die beiden DDR-Stauffenbergs Struwe und Köhncke gecastet hatte, bekam Struwe die Rolle. Für Köhncke war das nicht verwunderlich. Er sagt: "Mich hätten die sowieso nicht rausgelassen." Gedreht wurde vor allem in der Sowjetunion.
Zu dieser Zeit war er alleinerziehender Vater, seine Frau war an einer schweren Krankheit gestorben. Wegen seines Sohnes stellte Köhncke nie einen Ausreiseantrag. Er fürchtete, der Sohn würde in ein Kinderheim kommen, wenn er selbst verhaftet würde. Erst im Januar 1989, als der Sohn volljährig war, ging der Schauspieler in den Westen. Vier Tage nach seiner Ankunft in Hamburg erhielt Köhncke ein Engagement am dortigen Ernst-Deutsch-Theater. Friedrich Schütter, der Chef, schien ein Herz für den Kollegen aus der Zone zu haben, die beiden freundeten sich an. Das Ensemble ging auf Tournee, Köhncke war dabei. Jetzt schien alles gut zu werden. Köhncke spielte und hatte endlich das Leben, das er immer wollte. Bis 1990.
Bei einem Gastspiel in Cuxhaven schob ihn Schütter einfach zur Seite wie einen unnützen Gegenstand und zischte: "Gehen Sie mir aus den Augen, Sie Stasischwein." Stasischwein? Er? Wie konnte der Freund nur so etwas Ungeheuerliches behaupten? Köhncke stockt: "Ich habe keine Ahnung, was dahintersteckte. Ich war nie bei der Stasi, im Gegenteil, ich habe das System zutiefst verachtet." Für ihn, sagt Köhncke, war klar, dass er denunziert worden war.
Die Anschuldigung traf ihn bis ins Mark, sie machte ihn rat- und hilflos. Er ging, bewarb sich an anderen Theatern und wurde überall abgelehnt. Er verlor den Glauben an sich, wurde krank und verkroch sich. Heute lebt er allein in einer kleinen Wohnung in Treptow, manchmal redet er tagelang mit keinem Menschen. Hin und wieder beugt er sich über den Ordner mit den Fotos und Zeitungsausschnitten. Und fragt sich, immer und immer wieder: Warum? Das Schlimme: Er hat keinerlei Beweise.
Vor einigen Jahren recherchierte er, er suchte ehemalige Kollegen, alte Freunde, schrieb an die Birthler-Behörde. Es war mühsam. Und es blieben mehr Fragen als Antworten: Was steckt dahinter? Wieso er? Er war kein Oppositioneller, und er hat keinem Mann die Frau ausgespannt, er war ja noch nicht einmal eine echte Konkurrenz. Warum also? "Ich weiß es nicht", sagt Köhncke. Das Einzige: Er nennt große Namen, die an seinen abrupten Karriereabbruch mit schuld sein sollen, sie sind heute noch im Geschäft. Haben die wirklich etwas damit zu tun? Erinnern kann sich an Köhncke heute niemand von ihnen.
Die Birthler-Behörde antwortete dem Mann: "Die Recherchen haben keinerlei hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeit Ihrerseits beim MfS erbracht." Köhncke liest das, er kann die Sätze auswendig. Sie sind der Beweis: Ich habe nichts getan. Aber es liegt kein Trost in diesen Zeilen. Sie sind weniger Genugtuung als eher der letzte Punkt hinter seiner äußerst merkwürdigen Geschichte. Das verpasste Leben, das gibt ihm das Birthler-Schreiben auch nicht zurück.
Köhncke war seit Jahren nicht mehr im Theater, auch nicht im Kino. Er sagt: "Es schmerzt, die Kollegen zu sehen." Den neuen Stauffenberg in der "Operation Walküre" aber wird er sich anschauen. Unbedingt.
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