DAS VERBOT DER „REVOLUTIONÄREN 1.-MAI-DEMO“ IST NICHT HINZUNEHMEN: Feindbild Linksradikalismus
Demokraten, schaut auf diese Stadt! Denn Berlin wird an diesem 1. Mai mehr bieten als die traditionellen „Kreuzberger Festspiele“. Nachdem Berlins Innensenator Eckart Werthebach den „Revolutionären 1. Mai“ verboten hat, ist klar: Aus dem berechenbaren und eigentlich recht harmlosen nächtlichen Schlagabtausch zwischen randalefreudigen Jugendlichen und der Polizei wird Ernst. Nun geht es um die Frage: Wer hat an diesem symbolträchtigen Tag in den innerstädtischen Bezirken der Hauptstadt die Definitionsmacht? Werthebach, der die Berliner gern so fest im Griff hätte wie dereinst das von ihm geleitete Bundesamt für Verfassungsschutz? Oder all jene, die auch heute noch links von Rot-Grün nach politischen Perspektiven suchen?
Ausschreitungen sind programmiert und der Innensenator wird endlich die Bilder haben, nach denen er und die Konservativen des Landes sich so sehnen: militante Linksradikale in Aktion, brennende Barrikaden, Prügeleien mit der Polizei. Wenn dann noch gleichzeitig die vom Berliner Verwaltungsgericht genehmigte Demonstration der NPD friedlich über die Bühne geht, ist die konservative Welt wieder in Ordnung.
Ab dem 2. Mai, nach den Fernsehberichten aus den Kampfzonen Berlins, wird das Leiden der bürgerlichen Rechten ein Ende haben. Denn nur widerwillig und mit zusammengebissenen Zähnen haben sie sich in den letzten Monaten an der allgemeinen Empörung über den bedrohlichen Rechtsextremismus beteiligt. Krampfhaft haben sie nach Möglichkeiten gesucht, ihr lieb gewordenes Feindbild Linksradikalismus zur reaktivieren, das in der politischen Mitte angesichts handzahmer Grüner wie Joschka Fischer und Jürgen Trittin doch arg an Zugkraft verloren hat.
Nicht jedes Verbot ist in Ordnung und nicht jedes Verbot ist hinzunehmen. Deshalb ist Kreuzberg an diesem 1. Mai auch für Demokraten, die mit verquasten revolutionären Parolen weniger anzufangen wissen, sicherlich kein schlechter Ort, um zu zeigen: Leute wie Werthebach werden weder heute noch in Zukunft allgemein gültig definieren, wer diese Gesellschaft wirklich bedroht.
EBERHARD SEIDEL
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