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DAS NEUE PREISSYSTEM DER BAHN MISSACHTET DIE ANSPRÜCHE DER KUNDENSchiene fördert Straße

Wer weiß, um wie viel Uhr er in zwei Wochen in den Fernzug steigen wird, darf sich über das neue Preissystem der Bahn freuen. Auch für Eltern und Gruppenreisende wird es künftig billiger. Doch viele werden sich ärgern, wenn sie ab dem 15. Dezember ein Ticket unmittelbar vor Abfahrt lösen – und sich doch lieber wieder hinters Steuer klemmen. Denn das Auto hat einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber der Bahn: Es ist extrem flexibel und fährt ab, wenn der Fahrer will. Genau diesen Systemvorteil ihres schärfsten Konkurrenten baut die Bahn mit dem neuen Preissystem weiter aus.

Der Siegeszug des Autos – und damit der Niedergang von Bus und Bahn – hängt wesentlich mit den veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen seit Ende der 70er-Jahre zusammen. Ein fester Schichtanfang und damit eine optimale Voraussetzung für ein einheitliches Verkehrsangebot existiert heute fast nicht mehr. Auch die Wege der Menschen in ihrer Freizeit werden immer individueller. Für die Organisatoren von öffentlichen Verkehrsmitteln ist das eine schwierige Herausforderung: Sie müssen die Bedürfnisse der Kundschaft erforschen und daraus neue Angebote entwickeln.

Als die Bahn ihr neues Preissystem ausgeklügelt hat, ließ sie sich aber offenbar wieder von der traditionellen Perspektive leiten: Welches Problem haben wir? Während die Züge am Freitagnachmittag rappelvoll sind, fährt am Dienstagvormittag in vielen Gegenden nur heiße Luft mit. Eine bessere Verteilung der Fahrgäste erschien sinnvoll und notwendig.

Doch für den wirtschaftlichen Erfolg gilt ein anderes Kriterium, nämlich: Was will der Fahrgast? Zum einen ist der Bedarf, Zug zu fahren, am Freitag offenbar größer als am Dienstag. Also sollte hier das Angebot ausgeweitet werden. Zum Zweiten müsste sich die Bahn auf die Vielfalt der potenziellen Kunden einstellen und den meisten von ihnen ein attraktives Angebot machen. Gut möglich, dass sich manche Familie künftig in die Bahn setzt, die früher aus Kostengründen nicht mitgefahren ist. Ebenso wahrscheinlich ist aber auch, dass treue Kunden auf der Strecke bleiben: Für viele Pendler und Bahncard-Nutzer wird das Reisen künftig teurer. ANNETTE JENSEN

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