Cumhuriyet-Prozess: Kapitän hinter Gittern
Am 9. März wurden die Journalisten Ahmet Şık und Murat Sabuncu aus der Haft entlassen. Übrig bleibt der Cumhuriyet-Herausgeber Akin Atalay.
Im Morgengrauen des 31. Oktober 2016 durchsuchten Sicherheitsbeamte die Wohnungen von zwölf Führungspersonen und Reportern der ältesten türkischen Zeitung Cumhuriyet in Istanbul und nahmen sie vorläufig fest.
Ein Skandal, sogar in der Türkei des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan – die Nachricht wurde in den türkischen und internationalen Medien zur Schlagzeile. Fünf Tage später wurden zwei Mitarbeiter aus dem Polizeigewahrsam entlassen, die restlichen zehn wurden festgesetzt und mussten in Haft.
Vergleicht man die Cumhuriyet mit einem Schiff, so waren die fähigsten Seeleute zu diesen Zeiten nun hinter Gittern. Außer dem Schiffskapitän. Er befand sich an dem Tag in Berlin, um einen Preis für die Cumhuriyet zu empfangen.
Wäre er in der Türkei gewesen, hätten die Sicherheitskräfte als erstes sein Haus durchsucht und er wäre als Erster in die Haftanstalt gekommen. Viele unkten, dass er nicht zurückkehren werde. “Ein Glück, dass er im Ausland ist, er hat sich gerettet“ sagten sie.
geboren 1941, ist Journalist und Kolumnist. Nach dem Putsch 1980 lebte Engin für elf Jahre im Exil in Deutschland und arbeitete als Taxifahrer. Er ist Mitbegründer der unabhängigen Tageszeitung Birgün und schreibt für die Zeitungen Cumhuriyet, Agos und Birgün. Im Zuge der Verhaftungen von Cumhuriyet-Journalisten wurde auch Engin im November 2016 kurzzeitig in Untersuchungshaft genommen, kam aber aufgrund seines Alters wieder frei.
Atalay war Verteidiger von Pınar Selek und Ahmet Şık
Doch der Kapitän kehrte mit dem ersten Flugzeug zurück. Am Flughafen wurde er sofort festgehalten und ins Hochsicherheitsgefängnis von Silivri gebracht.
500 Tage Haft hat Akın Atalay jetzt hinter sich. Seit 42 Jahren ist der Kapitän der Cumhuriyet ein enger Freund und Anwalt des Journalisten, der diese Zeilen schreibt.
Atalay gilt als einer der brillantesten Studenten der juristischen Fakultät von İstanbul. Nicht ohne Grund nehmen an den Prozesstagen des Cumhuriyet-Prozesses juristische Experten auf den Rängen im Gerichtssaal Platz, die – ohne dass man sie darum gebeten hätte – die Verteidigung von Akın Atalay übernehmen. Mit ihrer Verteidigungsstrategie erteilen sie den Strafrichtern Lehrstunden in punkto Rechtsstaatlichkeit.
Nach seinem Jurastudium vertrat Akın Atalay nicht nur die Soziologin Pınar Selek und den Investigativreporter Ahmet Şık vor Gericht, sondern auch viele weitere Journalisten, darunter auch mich. Seine klugen Plädoyers haben Eingang in die Fachliteratur gefunden.
Troubleshooter und tragende Säule der Zeitung
Anfang der 1990er Jahre wurde er binnen kürzester Zeit Leiter der Rechtsabteilung der Cumhuriyet. Seither kümmert sich Atalay um die Verteidigung der Strafverfahren und die finanziellen Probleme der Cumhuriyet.
Atalay ist troubleshooter und tragende Säule der Zeitung. Doch kaum jemand kennt ihn. Nachdem der legendäre Kopf der Cumhuriyet, der Journalist İlhan Selçuk 2010 gestorben ist, übernahm Atalay das Ruder als Herausgeber.
Seiner Tätigkeit wird man kaum mit dem Begriff „Herausgeber“ gerecht, das oft im Impressum der europäischen Medien verwendet wird. Er wehrt die Angriffe der Regierung und des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf die Zeitung ab. Unumstritten ist, dass er als Vorstandschef der Cumhuriyet-Stiftung die in den letzten Jahren heftiger werdenden Stürme in ein laues Lüftchen verwandelt hat.
Ohne sich in den Vordergrund zu spielen, umschifft er alle Klippen und lässt die Cumhuriyet nicht auf den Meeresgrund sinken.
Im Rahmen der Verhandlungen sind viele der angeklagten Journalisten wie Ahmet Şık und Murat Sabuncu über die Grenzen des Landes hinaus bekannt geworden. Die Hauptlast und Verantwortung trägt jedoch der Kapitän Akın Atalay.
Aus dem Türkischen von Ebru Taşdemir
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