piwik no script img

Cumhuriyet-ProzessEin Land, regiert von Gefängnissen

Am Freitag geht der „Cumhuriyet“-Prozess weiter. Drei Journalisten sitzen seit rund 500 Tagen in Haft. Ihre Kolleg*innen kämpfen für sie weiter.

„Überall auf der Welt und zu jeder Zeit wird es Menschen geben, die ihren Mut nicht verlieren“ Foto: Vedat Arık

Manche Länder werden demokratisch regiert, andere despotisch. Die Türkei wird mittels Gefängnissen regiert. Knast bedeutet mehr als die tragischen Einzelschicksale, die wir in Filmen zu sehen bekommen. Dir wird alles geraubt, was dich ausmacht. Nicht nur deine Persönlichkeit, sondern sämtliche gesellschaftlichen Beziehungen, in denen du standest.

Wenn eine Politikerin verhaftet wird, dann um ihre Partei oder politische Weltanschauung in die Schranken zu verweisen. Wenn ein Hochschullehrer verhaftet wird, dann um die Universitäten zum Schweigen zu bringen. Wenn eine Journalistin verhaftet wird, dann um der gesamten Medienwelt zu zeigen, was Phase ist.

Ein kurzer Rückblick: Heute vor 495 Tagen, am 31. Oktober 2016, wurden 13 Mitarbeiter*innen der oppositionellen Zeitung Cumhuriyet festgenommen. Cumhuriyet stehe im Dienste gleich dreier verschiedener Terrororganisationen und verbreite eifrig deren jeweilige Propaganda, hieß es. Auf Grundlage dieses Vorwurfs wurden neun Mitarbeiter*innen in Untersuchungshaft genommen, die anderen vier bekamen ein Ausreiseverbot.

Akın Atalay, einer der leitenden Redakteure, war auf einer Auslandsreise und kehrte im vollen Bewusstsein zurück, dass er inhaftiert werden würde. Der Korrespondent Ahmet Şık wurde am 30. Dezember 2016 verhaftet. Im Juni 2017 kam dann noch der Buchhalter Emre Iper dazu. Für zwei Wochen teilte er sich eine Zelle mit dem Motorradkurier der Zeitung, Yavuz Yakışkan. Der wurde aber wieder freigelassen. Unterdessen hatte auch der Betreiber der Teekantine der Cumhuriyet, Şenol Buran, eine Woche in Untersuchungshaft verbringen müssen wegen Beleidigung des Staatspräsidenten.

Ähnlich erging es Onlineredakteur Oğuz Güven: rein, raus. Sein Strafverfahren konnte schon im November 2017 abgeschlossen werden, und zwar mit einer 37-monatigen Haftstrafe für drei von Güven gepostete Tweets. Er darf aber noch draußen bleiben, bis das Revisionsgericht sein Urteil bestätigt hat.

Weil Cumhuriyet und Gewalt nicht zusammenpassen

Zum ersten Verhandlungstag am 24. Juli 2017 ging es um folgende zwölf Mitarbeiter: Der Chefredakteur, der Geschäftsführer, ein Redaktionsbeirat, der Karikaturist, der Ombudsmann, der Redakteur der Literaturbeilage, der Druckereileiter, ein Kolumnist, ein Korrespondent, zwei Juristen und ein Buchhalter saßen im Gefängnis Nummer neun in Silivri. Angeklagt waren insgesamt 18. Zum Ende der Verhandlungstage im Sommer wurden sieben freigelassen. Ende September folgten Redaktionsbeirat Kadri Gürsel und Ende Dezember Emire Iper.

Journalismus, der nicht am Lack der Machthaber kratzt, wäre ein Oxymoron. Journalist*innen einzusperren heißt, die Bewegungsfreiheit des Journalismus einzugrenzen

Drei unserer Kollegen sitzen immer noch: Chefredakteur Murat Sabuncu am Freitag seit 495 Tagen, Akın Atalay seit 488 Tagen und Ahmet Şık seit 434 Tagen. Die ermittelnden Staatsanwälte haben in ihren Akten keine einzige Zeile aus der Zeitung angeführt, die unter den Tatbestand der Terrorpropaganda fallen könnte oder Gewalttaten billigen oder gar dazu aufrufen würde. Konnten sie auch gar nicht. Die gibt es nämlich nicht. Weil Cumhuriyet und Gewalt nicht zusammenpassen.

Stattdessen haben die Staatsanwälte folgende Anklagelogik konstruiert: Früher einmal sei die Cumhuriyet eine staatstreue, nationalorientierte und laizistische Publikation gewesen. Und unsere inhaftierten Kollegen seien gekommen und hätten dann die Redaktionslinie mutwillig verändert. Das ist kein Witz, der Vorwurf ist, dass sie die Redaktionslinie geändert haben sollen. Die Cumhuriyet-Mitarbeiter*innen haben umgehend und pointiert geantwortet: Das ist nicht euer Problem. Das haben wir nur vor unseren Leser*innen zu verantworten.

Übrigens ist der Staatsanwalt, der die Anklage formuliert hat, unterdessen selbst angeklagt, einer Organisation anzugehören, die unter dem Namen FETÖ verfolgt wird und von der türkischen Regierung für den Putschversuch 2016 verantwortlich gemacht wird. Sie soll einiges ausgefressen haben. Derzeit fordern andere Staatsanwälte für ihn eine dreifach lebenslängliche Haftstrafe.

Eingriffe in die Pressefreiheit als Einschüchterung

Was sagt uns also dieses Strafverfahren gegen die Cumhuriyet-Mit­ar­bei­ter*innen? Es erzählt uns nichts anderes als die anderen Verfahren gegen die über 150 inhaftierten Journalist*innen in der Türkei. Schreib oder sag nichts, was den Machthabern missfallen könnte.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat einen Begriff, um unrechtmäßige Eingriffe in die Pressefreiheit zu bezeichnen: chilling effect. Staatliche Eingriffe können eine Journalistin zur künftigen Selbstzensur bringen. Auf andere Journalist*innen haben sie einen chilling effect, eine Einschüchterungswirkung. Sie schrecken dich davor ab, zu schreiben und zu publizieren.

Von den regimetreuen Medien brauchen wir erst gar nicht zu reden. Wir schämen uns für sie. Aber in der Türkei gibt es auch Medien, denen man nicht direkt ansieht, dass sie mit der Macht verbändelt sind. Zaghaft bezeichnen sich ihre Mitarbeiter*innen als Journalist*innen. Manchmal behaupten sie sogar, ihre Tätigkeit sei für das Gemeinwohl. Aber Journalismus, der nicht am Lack der Machthaber kratzt, wäre ein Oxymoron. Journalist*innen einzusperren heißt, die Bewegungsfreiheit des Journalismus einzugrenzen.

Das funktioniert aber nicht. Überall auf der Welt und zu jeder Zeit wird es Menschen geben, die ihren Mut nicht verlieren. Von Mexiko bis Russland werden Menschen ihr Leben in die Waagschale werfen, um über Drogenkartelle und Todesschwadronen, über Kriegsgebiete und totalitäre Regimes zu recherchieren und zu berichten. Cumhuriyet ist ein Teil davon. Sie versucht, unter den Bedingungen eines Landes zu arbeiten, das mittels Gefängnissen regiert wird. Allem zum Trotz jeden Tag eine gedruckte Zeitung an ihre Leser*innen zu liefern. Was sich geändert hat seit 500 Tagen, ist, dass wir jetzt Verantwortung für Murat, Akın und Ahmet tragen und weiter für sie kämpfen.

Am Freitag werden wir ein weiteres Mal im Verhandlungssaal die Besuchertribüne füllen, um Risse in die Gefängnismauern zu schlagen und unsere Kollegen mit nach Hause zu nehmen.

Aus dem Türkischen von Oliver Kontny

Tora Pekin ist der Anwalt der Cumhuriyet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!