Cristiano Ronaldo und die Flitzerbranche: Sommerschlussverkauf
Immer wieder schaffen es Flitzer auf den EM-Rasen, um ein Selfie mit ihren Stars zu machen. Besonders beliebt scheint dabei Cristiano Ronaldo.
Berat heißt er, so viel wusste man schnell. Zehn Jahre ist er alt, er ist dem Vater auf der Tribüne ausgebüxt, um seinen Traum wahrzumachen, und jetzt hat er ein Selfie, das um die Welt geht. Der Kinderflitzer Berat, der in der 68. Minute beim Sieg von Portugal gegen die Türkei aufs Feld fegte, hat ein Foto mit Cristiano Ronaldo abgestaubt, eines, wo der den Arm um ihn legt und lächelt. Ein Sonntagsschuss unter Selfie-Jägern. Berats großer Auftritt leitete eine skurrile Schlussphase ein, in der insgesamt vier weitere Flitzer Annäherungsversuche an einen zunehmend angefressenen Ronaldo starteten.
Das Ronaldo-Flitzen darf seit vielen Jahren als Königsdisziplin im Flitzer-Business gelten. Fast immer sind es Männer (klar, auch Flitzen ist patriarchal), die zielstrebig auf CR7 zustürmen, ihm etwas übergriffig um den Hals und manchmal auch vor ihm auf die Knie fallen und dann die Selfiecam zücken. Oder halt was anderes tun, was sie so erfüllt. Ein Verehrer hob im Vorjahr den verdutzten Ronaldo in die Höhe wie Simba auf dem Königsfelsen.
Oft ist der Portugiese dabei erstaunlich freundlich. Bei der EM 2016 hielt er die Ordner davon ab, einen Flitzer wegzuführen, bis der aufgeregte junge Mann sein Selfie geschossen hatte. Das brachte ihm gar 5.000 Euro Strafe von der Uefa ein. Bei einem Qualifikationsspiel in Irland 2021 ließ er sich nach Abpfiff von einem Flitzermädchen umarmen und schenkte ihr sein Trikot, woraufhin die Kleine in Tränen ausbrach. Durch solche Publicity-Aktionen dürfte Ronaldo allerdings auch ganze Horden weiterer Flitzer ermutigt haben.
CR7 – halb subversiv, halb narzisstisch
Der Portugiese, der wie niemand zuvor Spitzenfußball und Influencertum verschmolzen hat, erweckt offenbar massenhaft den Wunsch, Zeitgeschichte, nun ja, zu berühren. Und von ihr berührt zu werden, halb subversiv und halb narzisstisch eine Nebenrolle zu ergattern in einem Spektakel, wo Fans nur als Kundschaft vorgesehen sind.
Je mehr sich die Karriere des Portugiesen dem Ende zuneigt, desto eskalativer geht es auf dem Rasen zu bei dem Versuch, noch ein vielleicht allerletztes Bild zu erhaschen. Sommerschlussverkauf im Flitzer-Business. Beim Juventus-Auftritt in Leverkusen 2019 in der Champions League stürmten gleich vier Flitzer den Rasen. Und beim öffentlichen EM-Training der Portugiesen ergoss sich eine Kaskade von insgesamt über 20 Flitzern in Richtung Ronaldo; mindestens zwei kamen durch.
Bizarr ist, wie wenig Ordnungskräfte offenbar dagegen ausrichten können. Die Uefa hat im Nachgang des Spiels und nach Beschwerden der Portugiesen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen angekündigt. Dank Kinderflitzer Berat weiß man aber zumindest, was man in der Branche eigentlich mit so einem Selfie mit dem verschwitzten Ronaldo macht: Auf ein T-Shirt will er es drucken lassen. Und außerdem in sein Zimmer hängen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Missbrauch in der Antifa
„Wie alt warst du, als er dich angefasst hat?“
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit