piwik no script img

Cream of CrimeAm Rand der Ränder

■ Paco Ignacio Taibo II und „Olga Forever“

In Interviews bezeichnet Paco Ignacio Taibo II gerne Kriminalliteratur und damit seine eigenen Werke als „marginal“. Das ist wunderbar mehrsinnig. Im Wertekanon der Literaturen gilt Kriminalliteratur als randständig, wird verbucht unter „Marginalien“, wie wir auch an dieser Kolumne sehen. Das ist auch gut so, weil sinnvolle Kriminalliteratur seit Hammetts Zeiten die Aufgabe hat, wenigstens ein paar Körnchen Sand ins Literaturgetriebe zu streuen. Inzwischen haben wir das Paradox, daß seriöse Kriminalliteratur im Getöse des Krimi-Booms und eskapistischer Fun-Lektüre sogar an den Rand des eigenen Genres gedrängt wird. Vom Rand her kommt, angeblich, auch lateinamerikanische Literatur – es sei denn, sie ist über die „klassischen“ Zentren Paris und Madrid nobilitiert (Garcia Márquez, Vargas Llosa etc.).

Das gilt nicht nur für Paco Ignacio Taibos Mexiko. Man kennt beispielsweise aus Argentinien Jorge Luis Borges, hat aber von Juan Sasturain noch nie gehört. In dieser x-fach marginalisierenden Situation allerdings entwickelten sich (kriminal-)literarische Schreibarten, die ästhetisch die interessanteren sind. Das wiederum hat mit einem abermals „marginalen“ Umstand zu tun: Noch nie hat gute Kriminalliteratur völlig auf seiten der offiziellen „Macht“ gestanden. Wenn „Krimis“ das je taten, war es der Ausweis für ihre Trivialität: Agatha Christie und die Folgen.

Natürlich spielt dieser Aspekt in einem Land wie Mexiko eine handfeste Rolle. Insofern sind Taibos „marginale“ Texte auch stets politisch in der Opposition anzusiedeln. Und schließlich: In Taibos Gesamtwerk kommt auch „Olga Forever“ marginal daher, verglichen etwa mit seinem Opus magnum „Vier Hände“. „Olga Forever“ besteht aus zwei aneinandergehängten längeren Erzählungen über die Jung- und Lokalrepoterin Olga Lavanderos, die auf ihrer Vespa durch Mexiko-Stadt knattert und in allerlei bizarre „Kriminalfälle“ gerät. Wobei angesichts der verbrecherischen Gesamtstruktur der Megapolis von ca. 22 Millionen Einwohnern „Fälle“ natürlich ein Euphemismus ist.

Das Kapitel sechs des ersten Falls braucht genau vier Seiten, um einen Katalog der alltäglichen Gewalt der Stadt zu skizzieren, der Stoff für dreißig der üblichen Lateinamerika-Romane des Backsteinformats bietet. Aber durch diese bewußte, hochverdichtete Marginalisierung bekommt Taibos Prosa Verve, Witz, Drive, Energie und vor allem: schriftstellerisches Gewicht.

„Olga Forever“ spielt in den späten 80er Jahren (die Entstehungsgeschichte schildert Taibo in allerlei Vorreden, die wir glauben können oder nicht, das gehört zum Programm), als eine neue Kooruptionswelle über das Land schwappt und anderswo auf der Welt der „Frauenkrimi“ seinen qualitativen Boom hatte. Deswegen benutzt Taibo eine sehr ironische Rollenprosa: Wir nehmen ihm keinen Moment lang ab, er würde ernsthaft von einem wiederum randständigen, nämlich weiblichen Point of view schreiben, aber er spielt sehr schön mit dieser Möglichkeit. Angesichts des erzählten Chaos ist ein auktorialer Erzähler sowieso unsinnig. Also macht Taibo das Dilemma zur produktiven Methode und sich zur Frau. So marodiert Olga, die einen Roman plant, der einen Typen wie Taibo zum Thema hat, durch die Stadt, die Gewalt und die Metatexte, also alles, was in Literatur, Film und Pulp nicht niet- und nagelfest ist. Die Marginalie spottet über sich selbst und leuchtet plötzlich in den schönsten erzählerischen Farben. Thomas Wörtche

Paco Ignacio Taibo II: „Olga Forever“. Dt. von Horst Rosenberger. Edition Nautilus, Hamburg 1998. 187 Seiten, 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen