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Cream of CrimeSchrottplatzblues für Tony Blair

■ Weder Superweib noch Opfer: Liza Codys Privatdetektivin findet Falschgeld, aber weder Feminismus noch „Neue Mitte“

Literatur und ihre Distribution stehen sich gegenseitig manchmal fatal im Weg. Ich würde zum Beispiel hinter einem Taschenbuch in einer allgemeinen TB-Reihe, dessen Umschlag ein miniberocktes und schwarzbestrumpftes, vermutlich weibliches Wesen mit weißer Bluse und Perlenkette ziert und das den Titel „Blüten für Mama“ trägt, nicht unbedingt einen bösartigen und wütenden Roman aus den „unteren Schichten“ vermuten. Allerdings weiß ich, wer Liza Cody, die Autorin dieses London noir mit dem schon ganz anders klingenden Originaltitel „Musclebound“ ist: eine der Gründerinnen der weiblichen Privatdetektivromanwelle der 80er Jahre, die sich von den Formel des Formates verabschiedet hatte, als diese zur Hohlform geworden waren.

Seitdem hat Cody brillante, hochliterarische Kurzgeschichten und ein Hörspiel geschrieben – eine Variation über einen Blues von Robert Johnson –, die weniger ihre Leser denn die Distributoren (Radiosender, zum Beispiel) verstört haben, weil man nicht mehr so einfach „Krimi“ draufschreiben kann. Das gilt auch für ihre Romane über die verzweifelt ums Überleben kämpfende Eva Wylie. „Musclebound“ ist der bislang dritte Roman um diesen Brecher von Frau, die als Catcherin (die „Killerqueen von London“) versucht, aus dem Schlamassel der ungünstigen „Sozialdaten“ herauszukommen: Evy Wylie ist eine wenig romantische, ganz und gar unschicke Low-life- Figur, für die Cody eine sehr eigene, derbe, aber funkelnde Sprache entworfen hat.

Am Anfang dieses Romans ist Eva wieder mal abgestürzt. Mit der Catch-Karriere ist es zunächst aus, Eva hängt wieder an der Flasche, die Muskeln schlaffen ab, und irgendein Schmierlappen kann ihr ungestraft eine verbratzeln. Die inspiriertesten Unterhaltungen („Hörf?“ – „Hip!“) führt sie mit einem Kampfhund, der allerdings ein viel zu weiches Gemüt hat. Als sie im Suff mal wieder ein Auto klaut – diesmal jedoch mit einem Sack Falschgeld drin –, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Aber weil Cody Genrekonventionen nicht mehr bedienen mag, führt diese Katastrophe nicht zum Detektiv-Spiel, sondern ins Zentrum von Evas Unglück: in ihre ekelhafte, widerwärtige und allzu banale Familiengeschichte.

Der Roman hat viele bemerkenswerte Aspekte. Zwei möchte ich unterstreichen: 1997, als England gerade beginnt, sich im neuen Glanz des Blairismus zu sonnen, verweigert Cody dazu den Applaus. Gegen das Jubelgeschrei setzt sie hartnäckig ihr London der Schrottplätze und schäbigen Stadtteile, deren Menschen auch bei der „Neuen Mitte“ außen vor bleiben. Diesen Dissens inszeniert sie weniger mittels einer besonders schrillen Handlung, als vielmehr mittels einer „elaborierten“ Gossensprache, die kreischende Obszönitäten, sentimentalen Kitsch, echte Emotion, schlagfertigen Witz, bodenlose Naivität und scharfsinnige Lebensklugheit bündeln kann, und die den Roman immer weiter treibt. An dieser widersprüchlichen, aber stimmigen Sprachhaltung zerplatzen alle möglichen Thesen oder Erklärungen, die man aus dem Buch zu ziehen versucht sein könnte. „Musclebound“ ist kein Roman übers große Allgemeine, sondern über eine konkrete, menschliche Figur.

Zweitens: Die feministische Autorin Cody erteilt jedem Dogma, wie ein „feministischer Krimi“ auszusehen hat, eine Absage. Keiner der derzeitigen Lieblingstopoi der Marketing-Masche „Frauenkrimi“ taucht auf – die Frauen der Familie Wylie sind sich gegenseitig die ärgsten Feinde, und einen optimistischen Hauch von Solidarität bekommt Eva nur von der von ihr mißtrauisch beäugten „Feindin“ Anna Lee (Codys erste Serienheldin) und vor allem von einem schwarzen Mann. Am Ende obsiegt Eva zwar nicht über ihre Probleme, aber erliegt ihnen auch nicht. Damit ist die Alternative zum „Superweib“, also die „Opferrolle“ ebenso als Option ausgeschieden. „Musclebound“ hat ein Open end. Das vertragen Kriminalromane angeblich nicht. Nein? Ach! Thomas Wörtche

Liza Cody: „Blüten für Mama“. Dt. von Regina Rawlinson. Goldmann, München 1998. 314 Seiten, 12,90 DM

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