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Crazy Gang sucht neue Adresse

Rechtsanwalt Jean-Louis Dupont hat mit dem Fall Bosman den Profifußball verändert. Nun will er den englischen Premier-Ligisten FC Wimbledon nach Irland auslagern  ■ Von Ronald Reng

London (taz) – In Wimbledon Common, einem öffentlichen Londoner Park, reiten zwei Frauen auf dicken Pferden vorbei. Ein paar Meter weiter spielt eine Schulklasse Rugby. Und dazwischen trainieren die Berufssportler des englischen Fußball-Erstligisten FC Wimbledon. „Wir sind obdachlos“, sagt Sam Hammam, der Mitbesitzer des Vereins, „wir haben kein eigenes Stadion.“ Seine Heimspiele trägt der Tabellenvierzehnte der Premier League in der Arena des Londoner Rivalen Crystal Palace aus, zum Training hat Hammam drei der 14 Rasenplätze in Wimbledon Common gepachtet, die von der Stadt ursprünglich für den Schul- und Freizeitsport angelegt wurden.

Der Humor ist hier so merkwürdig wie das Trainingsgelände. Die Zeitung South London Press berichtete: „Sie haben es sich angewöhnt, einen Spieler an seinem Geburtstag nackt in einem nahegelegenen Supermarkt auszusetzen.“ Hammam, ein Bauingenieur aus dem Libanon, der den damals viertklassigen Klub 1979 kaufte, förderte das Image von den Verrückten aus dem Park lange Jahre gezielt. Er sah darin die einzige Chance, Aufmerksamkeit in einer Stadt zu finden, die 13 Profiklubs beherbergt.

Doch nach zwölf Jahren in der Premier League hat sich der Ruf der Crazy Gang, wie die Elf genannt wird, etwas abgenutzt und Wimbledon unverändert den schlechtesten Zuschauerschnitt der Liga (15.000) beschert. Das hat Hammam bestärkt, eine Idee voranzutreiben, die nur auf den ersten Blick verrückt ist – und auf den zweiten revolutionär: Er will den Verein nach Dublin auslagern und als Klub mit irischem Sitz weiter in der englischen Liga spielen lassen.

Es gibt in Irland ein großes Interesse für Fußball, aber keinen großen Verein; dieses Vakuum könnte Wimbledon füllen, glaubt Hammam. Der Adressenwechsel der Crazy Gang wäre ein Präzedenzfall. Zum ersten Mal im modernen, europäischen Fußball würde eine Liga über die Grenze des eigenen Landes hinaus expandieren. Es könnte der Anfang vom Ende der üblichen nationalen Klassen sein, sagt der von Hammam engagierte Brüsseler Rechtsanwalt Jean-Louis Dupont: „Wenn Wimbledon erst einmal ein Dubliner Klub ist, wird vielleicht auch Rapid Wien sagen: ,Oh, für uns wäre es besser, wenn wir in Deutschland spielen.‘“

Viele werden über diese Vision lachen, aber das haben viele auch getan, als Dupont (32) vor drei Jahren die Auswirkungen seines ersten Rechtsstreits in Sachen Fußball ausmalte. Damals vertrat er den weitgehend unbekannten Profi Jean-Marc Bosman. Der Rest ist Geschichte: Duponts Sieg vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EU) veränderte den Profisport mehr als jedes andere Ereignis in diesem Jahrzehnt. Ablösezahlungen für Spieler, deren Arbeitsvertrag ausläuft, sind in der EU seitdem illegal, die Anzahl von EU-Ausländern pro Team darf nicht mehr beschränkt werden. Sein neuester Fall, sagt Dupont, sei „noch bedeutender als Bosman“.

Derzeit beschäftigt sich die Europäische Kommission mit dem Sachverhalt. Nachdem der Irische Fußball-Verband (FAI) verkündete, man werde den Londoner Klub in Dublin nicht dulden, veranlaßte Dupont die Brüsseler Bürokratie zu prüfen, ob die FAI Wimbledon überhaupt aufhalten dürfe. Er beruft sich unter anderem auf Absatz 52 der Römischen Verträge, in denen die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen garantiert wird. Eine Antwort erwartet er in den nächsten Wochen.

Duponts Engagement gibt einer Angelegenheit neue Qualität, die zuvor oft einer Provinzposse glich. Während Hammam „zum Frieden zwischen den Völkern beitragen“ wollte, sprach sein Gegenspieler, Bernard O'Byrne, der Generalsekretär der FAI, vom „Ausverkauf des irischen Fußballs“.

Während die irischen Fußball- Verwalter weiterhin auf stur schalten und jeden Kontakt mit Hammam verweigern, reiste der bereits mehrmals nach Irland und warb bei den Klubs dort um Unterstützung. 15 Millionen Mark, versprach Hammam, werde er an die irischen Vereine im Fall der Wimbledon-Ansiedlung verteilen. Auch hat er bereits einen Bauplatz und Bauherren für das geplante 40.000-Sitze-Stadion gefunden.

Vor irischen Journalisten sagte Hammam: „Wir arbeiten an einem Umzug nach Dublin, als hätten wir keine andere Chance“; obwohl er zu Hause, wo die eigenen Fans gegen den Gang ins Exil demonstrieren, immer wieder betont, Dublin sei „nur eine Option unter mehreren möglichen Standorten“.

Der Mietvertrag bei Crystal Palace läuft im Jahr 2000 aus. Das ist wohl der früheste, realistische Zeitpunkt für einen Standortwechsel. Solange muß sich Trainer Joe Kinnear an den kleinen Fortschritten erfreuen, die der Verein in Sachen Sportanlage macht. Seit der FC die Plätze im Park gepachtet habe, könne man wenigstens ordentlich trainieren, sagt Kinnear, „früher hing immer ein Schild der Stadtverwaltung an der Kabine: ,Ihr seid heute auf Platz 7‘ – der war dann voller Furchen, richtige Granatenlöcher, weil am Tag vorher das Team der Kneipe ,Hund & Ente‘ darauf gespielt hatte.“

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