Courtney Barnetts neues Album: Große Kunst aus gebrochenen Herzen
Courtney Barnett haut mit „Tell Me How You Really Feel“ ein neues Album raus. Es bricht Innerlichkeit mit punkigem Gebratze.
Courtney Barnett bringt mich immer zum Lachen. Der Grund ist nicht mal lustig, es geht um eine unschöne Begebenheit aus dem Leben der Künstlerin: Die bekennende Hypochonderin erlitt bei der Gartenarbeit einen anaphylaktischen Schock und fand sich im Notarztwagen wieder.
Dankenswerterweise genießt „Avant Gardener“, jener Hit der 30-jährigen Australierin, in dem sie die Episode erzählt, beim Sender Radio 1 Powerplay-Status. Und tatsächlich funktioniert der trocken-verschrobene Humor jedes Mal aufs Neue. Auch die schnodderige Moral von der Geschicht’ – „Should’ve stayed in bed today“ – kommt mir bekannt vor. Zu finden ist der Song auf Barnetts Debütalbum „Sometimes I Sit and Think and Sometimes I Just Sit“ (2015).
Ganz so pointiert wie in ihren Songtexten wirkt Barnett im Interview nicht. Anlass dafür ist die Veröffentlichung ihres neuen Soloalbums, „Tell Me How You Really Feel“. Sowohl Nonchalance als auch Zuspitzung hebt sie sich offenbar für ihre Texte auf. Barnett wirkt professionell freundlich und ein bisschen spröde. Oder ist es am Ende gar nicht kokett, dass ein Song des neuen Albums „Crippling Self Doubt and a General Lack of Confidence“ heißt? In ihren Texten wirkt Barnett smart, ohne bemüht intellektuell daherzukommen; selbstreflexiv, ohne der gerade in ihrem Genre verbreiteten Neigung zur jammervollen Innerlichkeit nachzugeben.
Bittersüß, aber nie klebrig
Ihre Alltagsbeschreibungen klingen bittersüß, ohne dass es klebrig wird, ohne dass sie allzu gerührt von sich und der Welt zu sein scheint. Mit ihrer eigensinnigen, ernsthaften, zugleich Distanz nehmenden Art verdichtet sie Alltagsbeobachtungen unaufgeregt, aber treffsicher. Sie besitzt also Qualitäten, die momentan selten sind im Popbiz. Beim Gespräch mit der taz relativiert sie ihre Antworten schon, bevor sie fertig gesprochen sind – was damit zu tun hat, dass sie auf „Tell Me How You Really Feel“, anders als auf dem Vorgänger, kaum emotionale Distanz zu sich selbst einnimmt.
Barnetts punkiger, bisweilen melancholischer, öfter aber grungiger Sound ist dem ihres Debüts ähnlich. Doch diesmal packt sie ihre Beobachtungen nicht in Anekdoten, sondern legt ihr Innenleben offen – entsprechend der Aufforderung „Tell Me How You Really Feel“. Auch diesmal gelingt es Courtney Barnett, einen Schritt zurückzutreten: Lieber beschreibt sie den Kontext ihrer Frustrationen, als dass sie in Selbstmitleid badet.
Bevor sie sich ans Komponieren machte, hatte Courtney Barnett eine Schreibblockade zu überwinden. Währenddessen sei ihr klar geworden, dass sie bisweilen traurig ist. Und oft wütend. „Nichts Neues“ erklärt sie. „Wut fühle ich, seit ich denken kann. Früher habe ich mich deswegen mies gefühlt. Aber jetzt ist mir endlich klar, was genau mich wütend macht.“ In dem neuen Werk scheint sie sich des Unbehagens anzunehmen und auf die kathartische Kraft von Kunst zu setzen. Schon im Eröffnungssong „Hopefullessness “ heißt es: „Take your broken heart / Turn it into art“.
Wirkungsmacht von Geschlechterrollen
Und doch scheint sie selbst überrascht davon, wie unvermittelt sich ihr Blick auf die Welt manifestiert hat. „Was an Gefühlen in den Songs steckt, wird mir erst im Rückblick langsam klar.“ Im genervt punkigen „I’m Not Your Mother, I’m Not Your Bitch“ geht es etwa um die Wirkungsmacht von Geschlechterrollen. Aber auch um die Nadelstiche des Alltags, wie sie ihr in Gestalt von Internettrollen begegnen. Ein solcher half Barnett sogar beim Texten. Der anonyme Onlinekommentator fühlte sich bemüßigt, ihren Lyrics Bedeutungslosigkeit zu attestieren: „I could eat a bowl of alphabet soup / And spit out better words than you“, frotzelte er. Kurzum baute sie die Beleidigung in den Song „Nameless, Faceless“ ein und versah sie mit einem bissigen Kommentar. Ließe sich doch jede Übergriffigkeit so schön drehen!
Nachvollziehbar ist, dass es Barnett bei den großen Themen offenbar schwerer fällt, Contenance zu bewahren. Noch im selben Song greift sie ein Zitat der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood auf –„Men are afraid that women will laugh at them / Women are afraid that men will kill them“ – und verbindet es mit der Forderung, dass auch sie nachts allein sicher durch den Park gehen kann. Das Ganze kommt als Mitsing-Powerpop mit feistem Gitarrengebratze daher. Was Barnett beim Songwriting anstrebt, ist die Spannung zwischen Form und Inhalt. „Reibung macht einen Song für mich viel interessanter“, erklärt sie.
Courtney Barnett: "Tell me how you really feel" (Marathon Artists/Kobalt/Rough Trade)
live: 11. Juni "Astra Kulturhaus" Berlin, 13. Juni "Live Music Hall" Köln
Upbeat wirkt auch das melancholische „City Looks Pretty“, in dem Courtney Barnett reflektiert, was sich durch ihren Erfolg verändert hat. Ihr eigener Ruhm als Projektionsfläche für alles Mögliche bereitet der Künstlerin Stress und ist einer der Gründe, warum sie nun expressiver und offensiver auftritt und ihre selbstironische Beobachterhaltung verlässt. Im Interview zuckt sie nur mit den Schultern. „Friends treat you like a stranger and / Strangers treat you like their best friend, oh well“ zeigt eine Welt, die auf dem Kopf steht.
Doch kein Tennis
Aufgewachsen ist Barnett in einem Künstlerhaushalt. Als Jugendliche wollte sie Tennisprofi werden, bis sie die Musik für sich entdeckte. Sie sammelte Erfahrungen in diversen Bands, erste Aufmerksamkeit gab es für ihre Solo-Doppel-EP „A Sea of Split Peas“ (2013). Es folgte das erfolgreiche Debütalbum. Letztes Jahr veröffentlichte sie mit KurtVile, US-Singer-Songwriter und Gründungsmitglied der Band The War on Drugs, das niedlich-schluffige Duo-Album „Lotta Sea Lice“. Heute lebt Barnett mit ihrer Lebensgefährtin Jen Cloher in Melbourne. Cloher ist ebenfalls Musikerin, Barnett spielt auch Gitarre in ihrer Band.
Songs komponiert sie seit der Jugend. Auf dem neuen Album sind mit „Help Yourself“ und „Sunday Roast“ gleich zwei, die Barnett bereits als Teenagerin angefangen hat. „Manchmal liegt ein Stück unfertig in der Schublade; bis ich mich wieder dransetze, vergehen Jahre. Mit den Texten bin ich allerdings immer da, wo ich gerade stehe.“
Wo Barnett aktuell steht, hat für die Hörer nicht den Unterhaltungswert und Charme des Debüts. Trotzdem hört man dieser Nabelschau, die „Tell Me How You Really Feel“ geworden ist, gern zu. Schließlich ist es vor allem eine kurzweilige und eingängig klingende Einladung, die eigene Wut abzuschütteln. Ihrem eigenwilligen Sprechgesang, der klingt, als falle ihr erst mitten im Satz ein, dass sie singen wollte, hört man sowieso gern zu. Und vielleicht legt Barnett nächstes Mal den Fokus wieder stärker auf die Außenwelt.
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