Corona in Turkmenistan: Mehr Tote als Leichensäcke
Die Regierung in Turkmenistan weiß nichts von Pandemiefällen. Doch in überfüllten Kliniken sind täglich Opfer zu beklagen.
So berichtet der turkmenische Dienst von Radio Freies Europa (Radio Azatlyk), dass auf der Intensivstation einer Klinik in der Hauptstadt Aschgabat täglich rund 50 Menschen stürben. Ständig müsse die Klinik neue Erkrankte aufnehmen. Da alle Betten belegt seien, müssten Neuzugänge auch in einem Kinderkrankenhaus behandelt werden. Alle Patienten erhielten die Diagnose Lungenentzündung.
Bereits Mitte Juli hätten Ärzte davor gewarnt, dass es nicht ausreichend Leichensäcke gebe. Deshalb würden die Toten jetzt in Kleidungsstücke eingewickelt, die vorher mit Chlor behandelt worden seien.
In der Stadt Turkmenabat, Verwaltungszentrum der Provinz Lebap, herrschen ähnliche Zustände. Am 20. Juli berichtete Turmen.news vom Ableben des örtlichen Distriktchefs Hasan Metkuliew nach einer Lungenentzündung. Nur wenige Tage zuvor war er noch öffentlich aufgetreten – und angeblich bei bester Gesundheit. Als der Familie die sterblichen Überreste in einem Leichensack übergeben wurden, erging die Aufforderung an die Angehörigen, den Toten sofort zu bestatten.
Handys überprüft
Zwar versucht die Regierung, solche Informationen mit aller Macht zu unterdrücken. So wurden in einer Provinz Handy von Polizisten überprüft, da sie angeblich Fotos und Videos ins Ausland geschickt haben sollen. Doch es sind nicht allein Medienberichte, die in der Bevölkerung für wachsende Panik sorgen und immer mehr Menschen an der Version der Regierung zweifeln lassen.
So müssen die Menschen auf der Straße Masken tragen und Hygieneregeln streng einhalten. Öffentliche Parks, Festplätze, Museen, Schönheitssalons, Schwimmbäder und Sportstätten bleiben mindesten bis zum 1. August geschlossen. Märkte sind seit der vergangenen Woche dicht.
Wenig Erhellendes zur aktuellen Lage beizutragen hatte auch ein Team der WHO, dessen Anreise die turkmenische Regierung zwei Monate erfolgreich heraus gezögert hatte. Bei einer Abschlusspressekonferenz am 15. Juli erging sich Missionschefin Catherine Smallwood in Allgemeinplätzen.
Wegen Corona müssten auch in Turkmenistan entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, sagte sie und verwies auf Berichte über eine wachsende Anzahl von Atemwegserkrankungen und Lungenentzündungen unbekannter Herkunft. Das Regierungsblatt „Neutrales Turkmenistan“ machte daraus auf seiner ersten Seite die Schlagzeile: „WHO: Turkmenistan hat viele Anstrengungen unternommnen, um das Eindringen des Virus in das Land zu verhindern. Diese Maßnahmen waren erfolgreich.“
Legeres Militäroutfit
Gewohnt erfolgreich und umtriebig präsentierte sich unlängst auch Turkmenistans so autokratischer wie bizarrer Staatschef Gurbanguly Berdymukhammedow dem Volk – diesmal aus seinem Urlaubsort. Bilder des Staatsfernsehens zeigen ihn, in legerer Militärkleidung samt Handschuhen sowie Mund- und Nasenschutz, beim Angeln.
Die reiche Ausbeute landet in einem Sommerlager, unter frenetischem Applaus der kleinen Feriengäste. In einer Sequenz drängen sie sich dicht an dicht um einen Kochtop mit Fischsuppe. Schöne heile Welt.
Empfohlener externer Inhalt
Doch die Welt ist für einen Großteil der Turkmen*innen alles andere als heil. Am 10. Juli postete das alternative Nachrichtenportal Turkmen.news ein Video. Darauf ist ist eine Frau zu sehen, die auf einer Straße kauert und ihre Wut heraus schreit. „Ich bin so müde, ich habe genug. Du suchst Arbeit, aber sie geben dir keine. Du bittest um eine Unterkunft, aber es gibt keine. Die Menschen müssen bei der Regierung um jeden Manat, (Währung in Turkmenistan, Anm. d. Red.), um ein Stück Brot kämpfen. Das ist die Realität im heutigen Turkmenistan!“
Ende April waren zahlreiche Häuser bei Wirbelstürmen in zwei Regionen schwer beschädigt worden, doch eine Instandssetzung ist unmöglich. Denn es mangelt an Baumaterial. Zwar hat die Regierung versprochen, die heimischen Produktionskapazitäten zu erhöhen. Doch bei dieser großspurigen Ankündigung ist es bislang geblieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!