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Corona-Politik-Desaster Auf den Kanzler kommt es an

Olaf Scholz und seine Regierung ducken sich vor Corona-Politik weg, SPD und Grüne lassen sich von der FDP vorführen. Ist die Ampel bereits am Rand eines gemeinsamen Wollens?

Trotz hoher Infektionszahlen werden fast alle Corona-Schutzmaßnahmen aufgehoben dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 12.04.22 | An der Bedrohungslage durch das Covid-Virus hat sich nichts verändert. Die zum Tode führenden Fälle sind mit der Omikron-Variante trotz derzeit hoher Zahl an Infizierten zwar zurückgegangen. Aber immer noch sterben täglich bis zu 200 Menschen, in der Mehrzahl ältere Ungeimpfte, an und wegen Corona. Neu sind die vielen Long-Covid-Fälle mit oft nur schwer beherrschbaren Gesundheitsfolgen bei Jüngeren. Die vierte Impfung schützt vor einer erneuten Ansteckung nicht sicher. Allerdings ist bei vollem Impfschutz das Risiko schwerer Verläufe deutlich reduziert.

Der Omikron-Nachfolger ist in England und in Israel bereits unterwegs. Über seine Ansteckungskraft, seine Verlaufsfolgen und die Wirkung der vorhandenen Impfstoffe gegen ihn ist noch nichts Aussagekräftiges bekannt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass im Herbst in Europa die nächste Covid-Welle kommen wird. Die Belastungen durch das Virus für die Krankenhäuser, Ärzte und das Pflegepersonal und die Verschlechterung der Gesundheitsversorgung jenseits von Covid werden weiter zunehmen.

Die Behauptung, eine Durchseuchung der Mehrheit der Bevölkerung mit Covid würde Entlastung bringen, ist widerlegt. Auch Genesene können sich immer wieder anstecken. Die Impfquote, inklusive aller zum vierten Mal Geimpften, stagniert trotz hohem Werbeaufwand bei etwa 80 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Aber es gibt ja ein Mittel, ein einziges Mittel, um in diesem Pandemiegeschehen die Folgen auf allen gesellschaftlichen Ebenen einzugrenzen – eine Impflicht für alle. Doch die Impfpflicht wird es nach dem Willen des Bundestages vorerst nicht geben. SPD und Grüne wurden von der FDP am Nasenring gezogen und von der CDU als unfähig vorgeführt, in der eigenen Regierung eine Mehrheit zu organisieren. Man kann das auch als Entscheidung sehen, Covid mit allen seinen Folgen für die Gesellschaft, die Wirtschaft, für das Leben und Sterben aller ihrer Bürger einfach laufen zu lassen.

Die Bundesregierung kommt ihrer Verantwortung nicht nach

Bekräftigt wird diese Sichtweise durch die faktische Aufhebung aller Schutzmaßnahmen in fast allen öffentlichen Lebensbereichen. Die Bundesregierung gibt damit die im Grundgesetz verbriefte Schutzpflicht auf, für die körperliche Unversehrtheit aller Bürger einzutreten. Sie überlässt es den Leuten selbst, ob und wie sie sich gegen Covid schützen wollen – wissend, dass ein eigenverantwortlicher Schutz vor Covid im Lebensalltag gar nicht möglich ist.

An die Stelle von Anti-Covid-Politik zum Schutz aller ist der von Freiheit schwafelnde, moralisch erhobene Zeigefinger getreten, der Bürger möge für seinen Schutz, bitteschön, selber sorgen. Mit der Folge, dass sich schon bald die Mehrheit der Leute an gar keine Vorsichtsmaßnahmen mehr halten wird, weil sie nicht weiß, was gerade richtig oder falsch ist.

Das Wegducken der Ampel-Koalition vor ihrer Regierungsverantwortung schwächt die Legitimität demokratischer Herrschaft. Es stärkt die Verfassungsfeinde bei den Impfverweigerern und der AfD.

Bei allem gebotenen Respekt vor den Zwängen eines im politischen Alltag abwägenden Pragmatismus: Die Ampel, die mit der Klimakrise, Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und der Covid-Pandemie vor Jahrhundertaufgaben steht, näher sich damit bereits dem Rand eines gemeinsamen Wollens.

Die FDP hat das Scheitern der Impfpflicht organisiert

Bundeskanzler Scholz (SPD) kommt in der Corona-Politik nicht vor. Anstatt seinen hochkompetenten Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) zu stärken und mit ihm Mehrheiten für eine konsistente Coronapolitik in der Koalition zu organisieren, lässt er seine Demontage zu und befeuert sie sogar noch. Etwa indem er eine Kabinettsvorlage Lauterbachs verweigerte, mit der der Gesundheitsminister das bei den Krankenkassen wegen Covid und verdrängter struktureller Probleme gewachsene Defizit mit gezielten Zumutungen für alle am Gesundheitssystem Beteiligten angehen wollte.

Die FDP-Minister Buschmann und Lindner produzieren sich derweil fortwährend in aller Öffentlichkeit als Regierungs-Verkünder einer alle Covid-Schutzmaßnahmen relativierenden Gesundheitspolitik. Wofür sie fachlich und sachlich gar nicht zuständig sind.

Die FDP hat das Scheitern der Impfpflicht im Bundestag organisiert. Sie ist dafür verantwortlich, dass die Schutzmaßnahmen verwässert worden sind. Sie ist für die Zuständigkeitsverschiebung der Covid- Schutzmaßnahmen zu den Ländern eingetreten und damit gegen bundesweit einheitliche Kriterien. Wegen vieler Proteste aus den Ländern und aus der Öffentlichkeit muss nun schon zum dritten Mal das Infektionsschutzgesetz neu gefasst werden. Und der Kanzler sieht diesem Treiben in aller Ruhe zu. An der aktuellen Corona-Politik wird deutlich, dass die anfänglich besungene neue Qualität der Kooperation von SPD, Grünen und FDP wohl doch nicht viel mehr als Propagandamasche oder frommer Wunsch gewesen ist. Die Bruchlinien werden auch in anderen Politikfeldern sichtbar.

Olaf Scholz versagt bei wegweisenden Entscheidungen

So ist die sicherheitspolitische Notwendigkeit, die Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischen Energierohstoffen möglichst schnell zu beenden auch eine unerwartete Chance, den Umstieg auf die regenerativen Energien jetzt in einem großen Wurf nachhaltig zu regeln. Das Osterpaket von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck liefert dafür die konkreten Gesetzesvorschläge.

Doch statt diesen Ansatz zu unterstützen, verlangt Finanzminister und FDP-Chef Lindner, diesmal auf einer Linie mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil (SPD), zunächst die Gas- und Ölbohrungen in der Nordsee wieder aufzunehmen. Damit fangen beide bereits vor Beginn der Beratungen an, Habecks Energiewende-Paket Habecks schon wieder aufzubohren.

Angesichts des Agierens von Kanzler Scholz und der FDP in der Covid- und bald wohl auch in der Klimapolitik, lässt sich der Gedanke nicht vermeiden, dass es wohl doch einen Kanzler neuen Typs braucht, damit die Bundesrepublik sich endgültig aus ihren reaktiven Denkmustern herauswinden kann. Dass Robert Habeck in dieser Woche zu Deutschlands beliebtestem Politiker avanciert ist, zeigt, dass andere auch schon auf diese Idee gekommen sind.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.