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■ Nebensachen aus RioCopacabana ohne Kleingeld

Wozu eine Fußball-Weltmeisterschaft doch alles gut sein kann. Während ganz Brasilien mit Trainer Carlos Alberto Parreira hadert, verordnete die brasilianische Regierung ihren Landsleuten flugs eine Währungsreform. Doch eigentlich interessiert es keine Menschenseele, daß der „Cruzeiro Real“ am 1. Juli vom „Real“ abgelöst wurde. Das einzige, worauf es ankommt, ist Brasiliens Sieg über die Vereinigten Staaten heute im Stadion von San Francisco.

Wahrscheinlich wird dem „Real“ sowieso dasselbe Schicksal widerfahren wie seinen Vorgängern. Nach spätestens einem Jahr Inflation werden drei Nullen gestrichen, und er bekommt einen neuen Namen verpaßt. Die „Cariocas“, wie sich die Einwohner Rios nennen, haben jedenfalls schon einen passenden Spitznamen für die neue Währung gefunden: „Real Novo“. Der Spott ist nicht ganz unberechtigt, denn in den letzten acht Jahren bescherte eine Inflation von 50.836.723.870,90 Prozent den Brasilianern immerhin acht verschiedene Währungen.

Doch diesmal soll alles anders werden. Kurz vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 3. Oktober präsentiert sich Brasilien ganz als Sieger: Nicht nur die stürmische Neuentdeckung, Sängerin Daniela Mercury, verspricht der Nation nach 24 Jahren eisernen Fastens den WM-Titel. Sogar Ray Charles macht für Brasilien oder besser: für die brasilianische Brauerei „Antarctica“ Reklame. Präsidentschaftskandidat Fernando Henrique Cardoso will den Siegesdurst nun in seinen eigenen Gewinn umwandeln. Dank der von ihm in die Wege geleiteten Währungsreform, so verspricht er es seinen Landsleuten, wird Brasilien ein für allemal das Übel der Inflation hinter sich lassen.

Das klingt gut. Doch bis jetzt profitierten lediglich die Hersteller von Portemonnaies von der Währungsumstellung. Denn zum ersten Mal seit acht Jahren müssen sich die Brasilianer nun wieder mit Kleingeld herumärgern. Ein „Real“ ist 0,02 „Centavos“, sprich drei Pfennige, mehr wert als ein US-Dollar. Die plötzliche Aufwertung ihrer Währung bereitet Kopfzerbrechen. Statt wie üblich mit Beträgen in Millionenhöhe herumzujonglieren, müssen die Brasilianer nun in die Niederungen hinter dem Komma herabsteigen!

Eine derartige Zumutung fordert einen allgemeinen Boykott geradezu heraus. Bei der Umrechnung von „Cruzeiros Reais“ in „Reais“ galt daher die Losung: Nach oben aufrunden! Ein Hamburger kostet in Rio zur Zeit umgerechnet vier Mark, also mehr als in den USA, eine Cola 2,80 Mark. Eine Kugel Eis kostet vier Mark, der monatliche Mindestlohn hingegen wurde auf hundert Mark eingefroren, also umgerechnet 25 Eiskugeln.

Die Supermärkte erhöhten die Preise für Grundnahrungsmittel ins Astronomische, denn wer weiß, vielleicht war dies die letzte Chance? Auch das Parken ist an der Copacabana unter einem „Real“ nicht mehr möglich. „Alle versuchen, für sich das Beste herauszuschlagen, wieso ich nicht?“ lautet das Gesetz des Überlebens im brasilianischen Inflationsdschungel.

Die brasilianische Regierung hüllt sich in Schweigen. Denn solange die Nationalelf nicht aus dem Achtelfinale herausfliegt, kann sie machen, was sie will. Außer Fernsehern, Bier und T-Shirts mit den Nationalfarben Gelb und Grün kauft zur Zeit sowieso kaum ein Brasilianer etwas. Präsidentschaftskandidat Fernando Henrique Cardoso klebt bei jedem Brasilienspiel förmlich am Bildschirm. Er weiß nur zu gut: Wenn Brasilien aus seinem Taumel erwacht und die Realität des „Real“ zu spüren bekommt, ist auch sein Traum von einer Zukunft im Regierungspalast ausgeträumt. Astrid Prange

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