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Contergan-Opfer als Akt-ModelleZeit zu starren

Für einen Aktkalender haben sich durch Contergan geschädigte Menschen ausgezogen. "NoBodys Perfect" beschreibt die schwierige Suche nach Modellen (22.45 Uhr, ARD)

Photographie aus dem Aktkalender Niko von Glasows. Bild: wdr

Niko von Glasow möchte, dass man hinschaut. Auf die behaarten Männerrücken, die Stummelbeine, die Hände, die direkt aus den Schultern wachsen. Nackte, behinderte Menschen stehen vor der Kamera - und Voyeurismus ist ausdrücklich erwünscht. "Wenn die Menschen genug Zeit haben, zu starren, gewöhnen sie sich daran, dass es Behinderte gibt", heißt es gegen Ende von "NoBody's Perfect", der 2009 mit dem Deutschen Filmpreis als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde.

Der Filmemacher von Glasow hat seine Suche nach elf Menschen dokumentiert, die - wie er selbst - durch das Medikament Contergan im Mutterleib geschädigt wurden und bereit waren, für einen Kalender mit Aktfotos zu posieren. Die Nähe zu den Themenkalendern mit erotischen Aufnahmen von Hausfrauen, Feuerwehrmännern oder Jungbauern ist dabei nicht zufällig gewählt.

Die Kamera folgt von Glasow in die Häuser und das Leben seiner Protagonisten. Die "Conterganer" leben in Deutschland und England, als Dressurreiterin oder als Gärtner, mit Kindern und Familie oder allein. Am Ende werden die Fotos ihrer nackten Körper als temporäre Ausstellung auf der Kölner Domplatte stehen.

Die Prozesshaftigkeit des Films ist seine große Stärke. Von Glasow serviert nicht nur ein Ergebnis, sondern zeigt auch den schwierigen Weg dorthin. Er spart die Momente der Unsicherheit und Nervosität aller Beteiligten beim Fotoshooting und der Entscheidung, überhaupt daran teilzunehmen, nicht aus. Wenn man schon aus Scham nicht schwimmen geht, wie soll man dann erst hüllenlos vor eine Kamera treten? Manchmal fehlen dem Filmemacher auch einfach die Worte. In einem Gespräch macht ihn Sozialarbeiterin Sofia auf ein nicht bedachtes Problem aufmerksam: "Wenn das stehende Porträts werden sollen: Was ist mit denen, die keine Beine haben?" - "Gute Frage."

In weiten Teilen besteht "NoBody's Perfect" aus Gesprächssituationen. Leise erzählt, fast ohne Hintergrundmusik, nur mit gelegentlichen Kinderfotos unterlegt. Die Protagonisten kennen sich untereinander teilweise schon lange, was sich an manchen Stellen als Problem erweist: Die Rückgriffe in die Vergangenheit verleihen den Diskussionen eine Tiefe, in die der Zuschauer als Außenstehender nicht eintauchen kann.

Der schwarze Humor von Glasow gibt dem Film die nötige Leichtigkeit. So erzählt ihm Gärtner Theo von Mammutbäumen, für die es zehn Männer braucht, um sie zu umfassen. "Aber mit längeren Armen als wir", verbessert ihn von Glasow.

Trotzdem erschreckt der Kontrast in den Gesprächen manchmal. Die Diskussionen wechseln von Momenten der Normalität, in denen sich die zukünftigen Aktmodelle Sorgen machen, dass ihr Bauch zu groß oder ihr Penis zu klein wirken könnte, sehr abrupt zu Selbstmordgedanken.

Die Wut auf den Contergan-Hersteller Grünenthal ist unvermindert groß. Von Glasow versucht im Verlauf des Films mehrfach, den Kontakt mit der Gründerfamilie aufzunehmen, die sich aber bis zum Schluss einem Gespräch verweigert. Am Ende macht von Glasow gleich mehreren Leuten ein Geschenk. Er stellt seinen Akt vor der Firmenzentrale von Grünenthal ab, weil ihn niemand persönlich in Empfang nehmen will. Und er geht endlich mit seinem Sohn in der Öffentlichkeit schwimmen. Es bleibt offen, ob er dieses Geschenk sich selbst oder seinem Kind macht.

"NoBodys Perfect", 10.08.10, 22.45 Uhr in der ARD.

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2 Kommentare

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  • PC
    Peter Conzendorf

    Dieser Film hat mich sehr bewegt. Besonders traurig hat mich gemacht, da ich selbst Christ bin, wie Christen sich schäbig gegenüber den Contergan- Opfern verhielten.

    Danke für diesen Film.

  • JM
    Jenny Müller

    Mit dem Film setzt sich der contergangeschädigte Regisseur Niko von Glasow auch für eine würdevolle Entschädigung der schwer- und schwerstbehinderten Contergan-Opfer durch Grünenthal ein, denn es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Kontinuität es Grünenthal schafft, sich durch würdeloses Geschachere um Entschädigungszahlungen in ein schlechtes Licht zu rücken. Es ist allen Betroffenen Gerechtigkeit zu wünschen und dass wenigstens eine halbwegs angemessene Entschädigung gezahlt wird.