„Computer Chess“ auf der Berlinale: Der Pfad zum Wahnsinn ist betreten
Programmierer und eine Katzenplage in einem spacigen Tagungshotel: „Computer Chess“ ist eine sanft ironische Hommage an die Anfänge des digitalen Zeitalters.
Wir schreiben die frühen achtziger Jahre, das sieht man an den Brillen, den Hemden, den Schnurrbärten, vor allem aber an den Maschinen, die in Andrew Bujalskis „Computer Chess“ immer wieder als urzeitliche Fremdkörper ins Bild gerückt werden. In massiven Gehäusen wohnten damals Computerkleinhirne, deren Rechenleistung von heutigen Radioweckern souverän überboten wird.
Die Überlegenheit unserer digitalen Gegenwart ist aber nicht wirklich die Komödienperspektive dieses Films, der seine Retro-Schauwerte ohne schrille Triumphgesten inszeniert. In „Computer Chess“ geht es um ein Treffen von Schachsoftwareprogrammierern, die ihre Forschungsresultate in Turnierform gegeneinander antreten lassen. Da sieht man dann erwachsene Männer, die konsterniert auf die naiven Zugvorschläge ihrer eigenen Programme blicken.
Jede Operation muss manuell eingespeist werden, und was der Computer dann ausspuckt, erweckt oft den Eindruck, er sei auf der Suche nach dem schnellsten Weg, sich selbst schachmatt zu setzen. Wenn dann die Rede davon ist, der „militärisch-industrielle Komplex“ sei an den suizidalen Programmen interessiert, kann sich zuerst keiner einen Reim auf etwaige Einsatzgebiete machen, bis schließlich vorsichtige Analogien zwischen dem Schwarz-Weiß des Schachbretts und der bipolaren Weltordnung des Kalten Kriegs angedacht werden. Dann sagt einer, Krieg sei Krieg und Schach sei Schach, und damit ist das Thema durch.
Posthippieske Selbsttherapiegruppe
Erschwerend kommt hinzu, dass das spacige Tagungshotel von einer Katzenplage heimgesucht wird. Die Tiere okkupieren Zimmer und fahren eigenmächtig im Fahrstuhl. Ebenfalls nicht konzentrationsfördernd ist die Anwesenheit einer posthippiesken Selbsttherapiegruppe, die die Schachexperten ständig in eigentlich zu private Gespräche verstrickt. Die Katzen und die Urschreier scheinen eine untergründige Allianz eingegangen zu sein, jedenfalls führen ihre Manöver zu deutlichen Irritationen unter den Programmierern. Zwischendurch kommt es allerdings auch zu Annährungen.
Das Konzept der „freien Liebe“ stößt bei den Schachleuten zwar auf so viel Unverständnis, dass es eine ganze Weile dauert, bis sie gemerkt haben, welcher Vorschlag hier genau auf dem Tisch liegt. Aber das allgemeine Gefummel beim Nachspielen der eigenen Geburt kann offenbar etwas sehr Befreiendes sein.
Der Mensch ist in „Computer Chess“ noch recht weit davon entfernt, die Maschine als satisfaktionsfähigen Konkurrenten anzuerkennen. Künstliche Intelligenz gilt noch als Oxymoron. Einmal fällt im Spaß die Bemerkung, in ferner Zukunft würden Computer die Partnersuche optimieren, und die einzige Frau im Raum sagt, sie habe diesbezüglich eigentlich keine formulierbare Strategie.
Superschwammiges Schwarz-Weiß
Als ein Nachwuchswissenschaftler die These entwickelt, die defizitäre Software würde das eigene Schachmatt herbeiführen, weil sie lieber gegen Menschen spielen möchte, schreitet der Doktorvater ein und spricht in dunklen Andeutungen von einem Pfad zum Wahnsinn, der jetzt betreten sei. Der Schüler nimmt die Worte ernst und engagiert eine Prostituierte, die immer direkt vor der Lobby darauf wartet, dass ein Hotelgast die Nerven verliert.
Mit sanfter Ironie blendet Bujalski Nerd- und Medienarchäologie ineinander und findet für sein period picture auch eine besondere Retro-Form. „Computer Chess“ wurde auf Augenhöhe gedreht: mit einer Sony-Videokamera, die den Film in ein superschwammiges Schwarz-Weiß taucht.
Die Zukunft steht aber auch hier schon unmittelbar vor der Tür, wenn der zwielichtige Maverick-Programmierer Michael Papageorge seine Mutter besucht und plötzlich die Videofarben der späten achtziger Jahre über den Film hereinbrechen. Das könnte eine Fortschrittsvision sein, sieht aber wiederum eher so aus, als hätte sich die Technik selbst aufgehängt: gefangen in einem Loop, zurück in die Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus