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Comic Subversive Hommage an die Zeiten, als die Gauner noch hard boiled waren: „Tyler Cross“ von Fabien Nury und, vor allem, dem Zeichner BrünoEin Kinn, das als Waffe dienen könnte

Oft lässt Brüno die Augen oder Münder weg, der Schattenwurf der Hutkrempe ist prägnant genug Foto: Abb: Carlsen

von Ralph Trommer

Tyler Cross ist durchaus kein Romantiker. Eine Freundin hat er trotzdem. „CJ“ heißt sie, sie ist schön, sicher im Umgang mit Waffen und ebenso abgebrüht wie Tyler. Pech, dass sie, als ein Auftrag eines Mafiapaten aus dem Ruder läuft, von mexikanischen Drogenhändlern angeschossen wird. Tyler küsst die Todgeweihte zum Abschied, dann lässt er sie – ohne sentimental zu werden – in Flammen aufgehen, um jede Spur zu verwischen. Nun hat Tyler 17 Kilo Heroin am Hals und schleppt sich durch die Wüste zum nächsten Kaff namens Black Rock.

So brutal und actionreich, wie der erste Band um den Comic-­helden „Tyler Cross“ beginnt, geht es auch weiter. Mit dem gefühlskalten, aber hochprofessionellen Gangster Tyler Cross hat der französische Comic­autor Fabien Nury zusammen mit seinem Landsmann, dem Zeichner Brüno, einen Antihelden geschaffen, der an die Hard-Boiled-Tradition des US-amerikanischen Kriminalromans anknüpft.

Im Comicmedium wird dieses Genre immer wieder gern aufgegriffen, etwa von den Argentiniern José Munoz und Carlos Sampayo, die in den 1970ern den dem Alkohol zugeneigten Privatdetektiv Alack Sinner in expressionistischen SchwarzWeiß-Bildern durch New York streifen ließen. Und die Spanier Enrique Sánchez Abulí und Jordi Bernet erfanden in den 1980er Jahren den skrupellosen und chauvinistischen Killer Torpedo, der das Genre zugleich bedient wie parodiert.

Auch „Tyler Cross“ ist keine beliebige Neuauflage altbekannter Schemata. Es ist vielmehr eine zeitgemäße Hommage, die die Hard-Boiled-Zutaten souverän aufgreift und subtil unterwandert. Natürlich ist die Serie in der Zeit der Schwarzen Serie angesiedelt, in denen „echte Kerle“ Nadelstreifenanzüge und Borsalinos trugen, Frauen elegante Kleider, die sich schnell abstreifen ließen – also ungefähr in den 1940er, 1950er Jahren in den USA.

Allerdings ist das Setting des ersten Bands nicht die für einen Krimi übliche Großstadt, sondern die Wüste und ein Städtchen, das seit Generationen von einem Familienclan beherrscht wird. „Black Rock“ würde sich auch als perfekte Kulisse für einen staubigen Clint-Eastwood-Western eignen. So gewitzt wie die Wahl des Schauplatzes ist auch die Story konstruiert. Der 1976 geborene Szenarist Fabien Nury unterteilt sie streng in drei Kapitel plus Epilog, schnörkellos und staubtrocken wie sein Held ist auch die Erzählweise, gelegentlich durch den lakonischen Kommentar eines allwissenden Erzählers unterbrochen.

Die zentralen Charaktere – der Patriarch, dessen missratene Söhne, die Stadtschönheit, der alte Feind des Patriarchen – werden jeweils knapp, aber sehr plastisch vorgestellt. Trotzdem bleibt Raum für Überraschungen: Der fiese Sheriff etwa erweist sich als klüger, als man gedacht hat, während Tyler Cross recht schnell in seine Falle tappt. Rückblenden werden intelligent eingesetzt, sie greifen weit zurück, um persönliche Hintergründe der Figuren zu beleuchten und archaische Konflikte bloßzulegen. Manche scheinbare Spielerei – etwa wenn eine ganze Szene aus der Sicht einer Schlange erzählt wird – überzeugt letztlich als treffender Einfall.

Trotzdem hätte dieser Comic mit dem falschen Zeichner auch platter, mainstreamhafter ausfallen können. Der in Nantes lebende, 1975 geborene Brüno (bürgerlich Bruno Thielleux) zeichnet bereits seit zwei Jahrzehnten Comics, die aber in Deutschland bisher kaum verlegt wurden, so auch sein Hauptwerk „Nemo“, eine originelle Weiterdichtung der Jules-­Verne-Figur.

Natürlich ist die Serie in der Zeit der Schwarzen Serie angesiedelt, in denen „echte Kerle“ Nadelstreifen­anzüge trugen und Frauen elegante Kleider, die sich schnell abstreifen ließen

2012 veröffentlichte der Avant Verlag Brünos erste Zusammenarbeit mit Fabien Nury, die Literaturadaption „Atar Gull“ (nach Eugène Sues Roman von 1831), einen gelungenen Abenteuercomic, der das Thema Sklaverei auf vielschichtige Weise behandelte und Brünos reduzierten Zeichenstil schon in Vollendung zeigte.

Auch in „Tyler Cross“ ist Brünos Stil die eigentliche Sensation. Die Charaktere werden in klar umrissenen Formen gezeichnet, oft stilisiert bis zur Cartoonhaftigkeit, und erhalten so einen hohen Wiedererkennungswert: Tyler Cross ist ein Hüne mit einem schmalen Kopf, dessen Kinn so lang ist, dass es als Waffe dienen könnte.

Oft lässt Brüno die Augen oder Münder weg, wenn die Gesichtsform oder der Schattenwurf der Hutkrempe als Ausdruck prägnant genug sind. Diese minimalistische Zeichenweise gibt dem ultraharten Krimi den passenden ironischen Look – der Leser versteht, dass das Ganze auch ein lustvolles Spiel mit Klischees und Stereotypen ist. Wie in „Atar Gull“ hat Laurence Croix die Farbgebung übernommen und damit das i-Tüpfelchen gesetzt: Er reduziert seine Farbpalette auf das Nötigste, vor allem mattrote und braune Töne herrschen am Tage vor, um die Trockenheit der Wüste spürbar zu machen. Nachts dominiert ein kühles Blaugrau, in denen die übergriffige Gewalt des Fami­lien­clans ihren Ausdruck findet.

Fabien Nury/Brüno: „Tyler Cross. Band 1: Black Rock“. Aus dem Französischen von Uli Pröfrock. Carlsen, Hamburg 2016, 96 Seiten, 14,99 Euro

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