Comic „Rude Girl“ von Birgit Weyhe: Die Skinhead-Professorin

In „Rude Girl“ erzählt Birgit Weyhe eine außergewöhnliche Biografie. Und nebenbei gibt sie eine prima Einführung in die Critical Race Theory.

In einem seitenbreiten Panel lässt die Autorin ihr darin fünfmal präsentes, gestikulierendes zeichnerisches Alter Ego den Beschluss fassen, nur noch über mittelalte weiße Frauen aus Norddeutschland zu schreiben

Gekränkt fasst Birgit Weyhe einen schlechten Vorsatz, den sie umgehend fallen lässt Foto: Birgit Weyhe /Avant Verlag

BREMEN taz | Leicht irritierend war ja, dass Birgit Weyhe im Februar das Stipendium des Hamburger Lessing-Preises bekommen hatte. Nicht, weil damit, endlich, Comic-Kunst von einer sonst aufs vermeintlich Hochkulturelle abonnierten Institution als ehrbar anerkannt worden ist.

Sondern weil ihre damals jüngste Produktion eher wie ein Krisensymp­tom gewirkt hatte: „German Calendar – No December“ war der Versuch, in einer arrangierten Kooperation mit der nigerianischen Autorin Sylvia Ofili auf die eigene Erzählstimme und -logik zu verzichten.

Geglückt war er nicht. Und da bis dahin alles, was Weyhe publiziert hatte, nicht nur gut, sondern immer besser geworden war, wirkte die Hamburger Bejubelung fast schon kontraproduktiv, bestenfalls antizyklisch.

Aber wahrscheinlich hatten die Ju­ro­r*in­nen auch schon geahnt, dass Weyhe aus diesem Tief rauskommen würde. Und wie! Denn mit „Rude Girl“ legt sie jetzt ein Werk vor, dass die Idee des kooperativen Erzählens völlig neu und eben ohne die Preisgabe des Eigenen denkt: als Mehrstimmigkeit.

Gewalt und Germanistik

Den Vorgängerband hat sie nicht einfach abgehakt und übermalt, sondern sie greift dort entwickelte künstlerische Ansätze – insbesondere die Kolorierungs-Strategie, nur mit Gelbgrün und Tangerine alle Farbigkeit der Welt auszudrücken – auf, treibt sie auf die Spitze und bringt sie zum Blühen.

„Rude Girl“ ist dabei persönlicher als ihr bisheriges Referenzwerk, „Madgermanes“, das für die bis dahin noch völlig unerzählte Geschichte der mosambikanischen Wan­der­ar­bei­te­r*in­nen in der DDR eine künstlerische Form entwickelt hatte.

Der jetzige Band erzählt viel linearer nichts anderes als eine Biografie, deren gesellschaftliche Brisanz und Bedeutung sich erst im Lesen erschließt. Es handelt sich um die Geschichte der jungen amerikanischen Germanistin Priscilla Layne.

Sie ist voll Gewalt, Schmerz, Leid und Rebellion und weitab von dem, was man aus von einem akademischen Lebenslauf erwarten würde – gerade in Deutschland nicht, wo Klasse und Herkunft weit vor Beginn einer Uni-Karriere ihre selegierende Wirksamkeit entfalten: Lehrstühle gehören weißen Bürgerkindern. Natürlich.

Professorin Priscilla Layne hingegen ist die in Chicago aufgewachsene Tochter einer alleinerziehenden Einwanderin aus Barbados, Skinhead und Schwarz. Wobei ihr von einigen Mit­schü­le­r*in­nen auch das abgesprochen wird: Sie sei wie ein Oreo-Keks, also außen dunkel, aber innen ganz weiß.

Dass sie zudem Frau ist, komplettiert das Bündel an besten Voraussetzungen, schlechte Erfahrungen zu machen und nirgends dazuzugehören. Niederschmetternd, aber in seiner behutsam-zarten Erzählweise eher ergreifend als schockierend, ist das Kapitel darüber, wie die Protagonistin als Kind missbraucht – und der Täter, ihr Cousin, infolge von familiärem Corpsgeist freigesprochen worden ist.

Zugleich aber reflektiert Weyhe ihr eigenes Schaffen. Sie integriert in den Comic die Frage nach seinem Entstehen. Diskutiert werden grafische Entscheidungen und erzählerische Freiheiten – aber nicht, um sie zu revidieren, ungeschehen zu machen, sondern um vom Moment der Kritik an im eigenen Zeichnen und Schreiben Antworten auf sie zu finden.

Der gattungstypische Rassismus

Es ist ein Comic, der die Bedingungen der Möglichkeit, Comic zu machen, erkundet. Dabei lotet Weyhe die ethische Dimension des Schaffens in einer Kunstform aus, die mit Schematisierungen und Stereotypen arbeiten muss.

Auch deswegen war das Genre in seiner Geschichte immer wieder in Rassismen abgeglitten, ja, hatte sie quasi in seinen Grundwortschatz aufgenommen und bewahrt. Großmeister wie André Franquin und Hergé haben dessen Präsenz in ihrem eigenen Œuvre irgendwann bemerkt, sie in späteren Auflagen zu beseitigen versucht, mitunter kapituliert und Wiederveröffentlichungen untersagt.

Birgit Weyhe: „Rude Girl“, Avant-Verlag, 312 S., 26 Euro

Weyhe geht damit viel souveräner um. Sie schildert ihre trotzige Reaktion auf entsprechende Kritik – und macht sich damit über die eigene Abwehr lustig: „Ich bin beleidigt“, heißt es auf Seite 10, als ihr „auf einer Tagung US-amerikanischer Germanist*innen“ in Bezug auf „Madgermanes“ vorgeworfen wird, „kulturelle Aneignung zu betreiben“, und das Panel zeigt sie mit verbittertem Blick, verschränkten Armen, missmutigem Ringelpulli und motzigen Mundwinkeln.

„In Zukunft“, verkündet sie sodann, „werde ich nur noch über mittelalte weiße Frauen aus Norddeutschland schreiben.“ Dieses finstere Gelübde bricht sie – nachdem Layne sie zu Forschungszwecken interviewt, und sie umgekehrt die Professorin der University of Carolina befragt hat, die zu den vielversprechenden Vor­den­ke­r*in­nen der Critical Race Theory zählt.

Das ist eine in Deutschland oft wüst und in dummer Pauschalität attackierte Denkschule: Ihr Ausgangspunkt ist eine von David Theo Goldberg pointiert beschriebene Tatsache: „Race is irrelevant“, so der südafrikanische Philosoph 1993, „but all is race.“ Also sinngemäß: „Race“ ist bedeutungslos, aber „Race“ prägt alles.

Birgit Weyhe liest am Donnerstag 21. 4. im Kulturzentrum Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 12, Hamburg, ab 20.15 Uhr

Das Buch lässt Fragen offen: Nicht alle, aber sein Anliegen ist erkennbar, sie zu stellen, als Probleme sichtbar zu machen. Weyhes Stil hat immer schon etwas im guten Sinne Veranschaulichendes. Sie sucht, findet grafische Entsprechungen, in denen komplexe Probleme eingängig fassbar werden – möglichst ohne ihre Komplexität zu verlieren. Aber notfalls auch per Trivialmetapher.

Das sind Fragen der Kommunikation, der potenziell trennenden Wirkung von Bildung, Fragen auch nach der Rolle, nach der Bedeutung von Race, Klasse und Geschlecht. Der ruhige Rhythmus und die auch in früheren Werken schon auffällige Statik der Zeichnungen vermeiden, dass ein zu starker erzählerischer Sog entsteht, der das Bewusstsein vernebeln könnte. Der Geschichte zu folgen, macht auch ohne ihn Spaß.

Aber aus der Geschichte ins Denken zu finden, dank ihr die eigenen Vorurteile zu überwinden, darum geht’s. Und das, klar, hätte Lessing gefallen. Denn das ist Aufklärung pur. Die betreibt kein literarisches Werk in Deutschland derzeit besser.

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