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Comic „Rein in die Fluten!“ von David Prudhomme und Pascal Rabaté: Sonne, Meer und IrritationenEin Tag am Strand

Das Verhalten von Strandbesuchern: Seite aus „Rein in die Fluten!“ Foto: Abbildung: Reprodukt

von Ralph Trommer

Wenn der kugelrunde Rentner mit den karierten Shorts seine Rätsel lösende Frau im Liegestuhl zurücklässt, um zusammen mit Hund Zorro über den weiten Strand zu flanieren, hat er ein festes Ziel: den FKK-Strand. Die erste Düne dort erfreut ihn schon, denn sie ist in Wahrheit ein junger Frauenkörper. Dass Zorro an allerlei Körperöffnungen schnüffelt, auch an denen von schwulen Männern, gefällt Papa aber gar nicht. „Du Ferkel! Warte nur, wenn Mama das hört!“

Dies ist nur einer von vielen schrulligen Charakteren, die die französische Graphic Novel „Rein in die Fluten!“ bevölkern. Sie hätte auch „Ein Tag am Strand“ heißen können, denn alles spielt sich an einem einzigen Sommertag an der Küste ab.

Die französischen Comic­zeichner David Prudhomme, Jahrgang 1969, und Pascal Rabaté, Jahrgang 1961, sind bereits mit preisgekrönten Arbeiten hervorgetreten, die die Verhaltensweisen ihrer Landsleute auf teils ernsthafte, teils satirische Art behandeln. Rabaté widmet sich gern dem Lande, etwa in „Bäche und Flüsse“ (2007 auf Deutsch erschienen), einer ruhig rhythmisierten Reisegeschichte über einen lebensmüden Rentner, der durch neue Bekanntschaften und Erfahrungen doch noch seinen Plan ändert. Prudhomme wiederum nahm das Verhalten von Museumsbesuchern in „Einmal durch den Louvre“ (2013) unter die Lupe. Gemeinsam haben sich die beiden Künstler bereits die Groteske „Die Plastikmadonna“ (2010 bei Carlsen erschienen) ausgedacht und gezeichnet. Nun haben sie sich erneut zusammengetan, gemeinsam ein Konzept ausgeheckt und ebenso die Zeichenarbeit geteilt.

Keine herkömmliche Geschichte führt durch den Band, ja noch nicht mal eine Hauptfigur. Vielmehr ist es der Schauplatz, der alle Charaktere, die jeweils bestimmte Typen verkörpern, verbindet – das fiktive „Polovos Plage“, ein typischer, gesichtsloser Badeort an einer der vielen Küsten Frankreichs. Eine Familie kommt am Strand an, die Kinder singen nervige Lieder, brave Ehemänner sehen klammheimlich drallen Strandnixen nach, während die Frauen Zeitschriften lesen oder sich in Algen einwickeln, um „samtene Haut“ zu bekommen. Eigentlich herrscht die pure Langeweile, Action verspricht allein das gemeinsame Sammeln von Meeresfrüchten oder das Bauen von Sandburgen.

Doch sorgen die Autoren immer wieder für kleine Irritationen: Der kleine Sohn einer Burka tragenden Muslimin trägt einen Schwimmring, der aussieht wie ein Sprengstoffgürtel. Ein Kind hält seine Plastiksoldaten so vors Auge, dass sie lebensgroß erscheinen und die Urlauber bedrohen. Und ein erwachsener Mann hängt infantilen Gewaltfantasien nach, feuert mit imaginären Waffen auf friedliche Möwen.

Die Autoren-Zeichner knüpfen an eine Tradition der Strand-Satire an, die bereits von berühmten Franzosen geprägt wurde. Vor allem der Komiker und Regisseur Jacques Tati hat im Film „Die Ferien des Monsieur Hulot“ bereits 1953 die Sitten seines Volkes en vacances auf die Schippe genommen und wohl den Klassiker zum Thema abgeliefert. Weniger liebevoll als bissig hat wiederum der Cartoonist Jean-Jacques Sempé 1970 mit der reichen Freizeitgesellschaft in St. Tropez abgerechnet.

Nachsichtiger Blick

Die Autoren-Zeichner knüpfen an eine Tradition der Strand-Satire an. Jacques Tati hat mit „Die Ferien des Monsieur Hulot“ den Klassiker abgeliefert

Prudhomme und Rabaté schauen eher mit einem nachsichtigen Blick auf die Strandaktivitäten. Originell sind sie vor allem durch einen visuellen filmischen Einfall. „Rein in die Fluten“ scheint eine einzige Plansequenz zu sein, es gibt kaum sichtbare Schnitte, die „Kamera“ verharrt eine Weile bei einer Familie im Auto, schwenkt dann zum nächsten mit anderem Personal, doch als ein Zug die Strecke kreuzt, geht sie ins Innere des Zuges und verfolgt wiederum andere Anreisende. So geht es auch am Strand weiter, man lernt – unterbrochen durch panoramahafte Panels, die einen Überblick verschaffen – immer wieder neue Typen kennen, und doch kehren einige auch zurück, so dass eine Entwicklung sichtbar wird, manche Erwartungen erfüllt werden, andere nicht.

Am Ende des Tages kommt die Flut, Abreise ist angesagt. Zwei Maler, die Zäune lackieren, sind die einzigen ­Nichturlauber, die sich mittels Farbrollen kleine visuelle Scherze erlauben – ein verstecktes Selbstporträt der beiden Künstler.

Es sind die kleinen, skurrilen Begebenheiten, die die in leuchtenden Sommerfarben gehaltene Graphic Novel zu einer federleichten Urlaubslektüre machen. Am besten am Strand genießen.

David Prudhomme, Pascal Rabaté: „Rein in die Fluten!“ Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, Berlin 2016, 120 Seiten, 24 Euro

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