Comeback nach Dopingsperre: Pechstein im Bratwurstglück
Unter großer Anteilnahme ihrer Fans bestreitet Claudia Pechstein nach zweijähriger Dopingsperre in Erfurt ihren ersten Eisschnelllauf-Wettkampf und qualifiziert sich für den Weltcup.
ERFURT taz | Vor der Eishalle im thüringischen Erfurt zischt der Grill. Bratwurstduft, was sonst. Uwe Burggraf wendet routiniert die Würstchen und strahlt. "Das könnte jede Woche so sein." 500 Bratwürste wird er an diesem Wettkampfsamstag verkaufen. So viele wie sonst nie. Es sind auch so viele Zuschauer und Journalisten gekommen wie sonst nie. Alle wegen eines Namens auf der Starterliste: Claudia Pechstein. Deutschlands erfolgreichste Winter-Olympionikin hatte ihr Comeback, ihre Rückkehr an die Weltspitze angekündigt.
Das Rennen selbst mag freilich etwas popelig erscheinen für eine wie Pechstein: ein wöchentlich stattfindender offener Vereinswettbewerb, bei dem vor allem der Nachwuchs Wettkampf-Erfahrung sammeln soll. Doch darum geht es nicht. Pechstein brauchte einfach einen beim Eislauf-Weltverband ISU angemeldeten Wettkampf - irgendeinen. Nur so kann sie sich noch kurzfristig für den Weltcup in Salt Lake City (USA) qualifizieren. Und der Erfurter Eissportclub hat nicht eine Sekunde gezögert, als Pechstein anfragte. "Wir haben den Wettkampf gleich nachgemeldet bei der ISU", ist Marian Thoms vom ESC noch immer sichtlich erfreut über seinen Coup. Er hat Thüringens Landeshauptstadt einen eintägigen Eisschnelllauf-Boom beschert: 1.500 Zuschauer, 80 Journalisten, gut ein Dutzend Kamerateams - sogar aus Holland und Schweden.
Als Claudia Pechstein kurz vor 13 Uhr zum Aufwärmen übers Eis gleitet, wirkt sie angespannt. Die 3.000 Meter muss sie in 4:15 Minuten laufen, um die ISU-Norm zu knacken. Einige Tage zuvor hatte sie gesagt, sie nehme "die Wut auf die ISU mit aufs Eis" von Erfurt. Eine zweijährige Dopingsperre liegt hinter ihr, ein aufreibender andauernder juristischer Streit darum, ein Nervenzusammenbruch und - ganz frisch - der Rausschmiss aus der Spitzensportförderung. Genug Wutpotenzial also.
Dann der Startschuss. Pechstein lässt es schnell angehen. Ihre Gegnerin Bente Kraus ist schon nach einer Runde weit zurück. Eigentlich ist Kraus auch gar keine richtige Gegnerin. Pechstein selbst hatte sie gefragt, ob sie mit ihr in Erfurt laufen würde, einfach weil sie ja eine Gegnerin braucht. Und da Teamkollegin Kraus auch eine Freundin ist, kam sie eben mit.
Nach genau 4:10:05 Minuten reckt die 38-Jährige erleichtert die Hände in die Luft. "Ich bin wieder da", spricht sie ins Saalmikrofon. Die Erfurter Fans jubeln. "Unserer Claudia haben sie übel mitgespielt", sagt einer, "aber jetzt zeigt sies denen". Auch Uwe Burggraf hat für einen Moment seine Bratwürste sich selbst überlassen und ist in die Halle gelaufen - mitfiebern. Er findet es überhaupt nicht in Ordnung, dass "die Claudi" so runtergemacht worden sei von den Medien wegen des angeblichen Dopings. "Die wollten eine aus dem Osten plattmachen, da bin ich mir ganz sicher." Und hoppla, da wäre ihm doch fast eine Ladung Würste angebrannt.
In der Pressekonferenz spricht Claudia Pechstein von einem "riesigen Druck", der nun abgefallen sei. "Für mich ist es der größte Sieg in meiner Karriere, dass ich wieder da bin." Am Montag werde sie nun nach Salt Lake City fliegen, beim Weltcup starten, die 5.000 Meter laufen. Eine Zeit von 7 Minuten würde ihr den Startplatz für die Heim-WM in Inzell Mitte März sichern. "Weiter denke ich jetzt nicht." Und nein, über alles andere wolle sie hier auch nicht sprechen. Nur so viel: Der "andere Kampf" werde noch lange dauern und sei erst zu Ende, "wenn ich vollständig rehabilitiert bin". Claudia Pechstein ist auf der Hut - jetzt bloß kein Öl ins Feuer gießen im Streit mit ISU und den Funktionären. Denn die wird sie noch brauchen, wenn es darum geht, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, um trotz schwankender Retikulozytenwerte bei Wettkämpfen starten zu können. Pechstein hat sich von mehreren Experten eine angeborene Blutanomalie bescheinigen lassen. Die ISU aber hatte sie gerade wegen dieser erhöhten Werte zwei Jahre sperren lassen.
Man mag sich kaum vorstellen, wie es in Claudia Pechstein wirklich aussieht. In Erfurt gibt sie sich demonstrativ locker, winkt freundlich den Fans zu, duzt vertraut die Journalistenschar und wehrt mit entschlossenem Lächeln so manche Frage ab. Auf ihrer Website schreibt sie: "Meine sportliche Laufbahn wurde zerstört … Ich wurde Opfer des größten Justizirrtums der Sportgeschichte … Niemals werde ich meinen Peinigern verzeihen können." Das klingt so gar nicht locker.
Und am Ende dieses Wettkampftages, als sie auch die Qualifikation über 1.500 Meter mit 2:01:22 Minuten souverän geschafft hat (2:03:50 Minuten hätte sie laufen können), tritt sie noch einmal vor die Presse, eine Thüringer Bratwurst in der Hand. Uwe Burggraf hat seinen Stand da schon dichtgemacht. Die letzte warme Wurst war für Claudia Pechstein. Und da passiert es ihr doch, ein Moment der Bitterkeit: "Ich wollte in Vancouver meine zehnte olympische Medaille holen. Das wurde mir genommen. Ich will 2014 in Sotschi starten und werde das auf dem Eis zurückzahlen - mit Leistung. So leicht werden die mich nicht los." Das also ist die Motivation der Claudia Pechstein. Ihre Thüringer Bratwurst liegt derweil angebissen und kalt auf dem Nebentisch.
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