Claudia Roth über Bundestagswahlkampf: „Ja, ich will ins Spitzenteam“
Soll Jürgen Trittin die Grünen in den Wahlkampf 2013 führen? Ein Mann allein an der Spitze? Nicht mit mir, sagt Claudia Roth und fordert eine Urwahl für das Spitzenteam.
taz: Frau Roth, die Grünen debattieren offenbar nichts leidenschaftlicher als Personalien. Wie nehmen Sie den Streit über ein Spitzenteam für die Bundestagswahl wahr?
Claudia Roth: Da lief in letzter Zeit einiges unter unserem Niveau. Es wurden gezielt Informationen aus vertraulichen Runden gestreut, um vermeintliche Gegner und Gegnerinnen zu attackieren. Selbst persönliche Angriffe waren nicht mehr tabu. All dies schadet uns insgesamt als Partei und steht gerade uns Grünen nicht gut zu Gesicht. Unser Erfolg gründet sich auch auf einem fairen Umgang miteinander.
Inhalte geraten jedenfalls gerade ins Hintertreffen.
Da gibt es in der Tat gerade ein Missverhältnis. Im Moment überstrahlen unsere Personaldebatten teilweise die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser katastrophalen schwarz-gelben Bundesregierung. Das muss schleunigst aufhören. Das interessiert weder unsere Wähler, noch unsere Mitglieder. Es gibt wahrlich genug wichtige Themen, über die wir mit Schwarz-Gelb gerade streiten müssen: den unzureichenden Fiskalpakt oder das Versagen der Regierung bei der Energiewende, nur um zwei Beispiele zu nennen.
Was folgt daraus?
56, ist seit 2004 eine von zwei Bundesvorsitzenden der Grünen.
Ich rate uns dringend: Jetzt alle wieder runterkommen und ran an die Inhalte. Und statt heftigem Flügelstreit zu einer Renaissance zu verhelfen, müssen wir wieder einen anständigen Umgangston miteinander pflegen.
In der Personaldebatte gab es zuletzt viele, die einen alleinigen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin unterstützen würden. Ihre Meinung dazu?
Die Quote macht einen großen Teil unseres Erfolges aus. Die Lösung, dass ein einzelner Mann die Grünen im nächsten Bundestagswahlkampf anführt, völlig unabhängig davon, wer das dann wäre, die wird es deshalb mit mir als Parteichefin nicht geben. Die Quote gehört sozusagen zum grünen Grundgesetz. Auf dem letzten Parteitag in Kiel haben wir beschlossen, dass sie auch bei einer Urwahl gelten würde. Die Grünen stehen wie keine andere Partei dafür, dass Frauen die Hälfte der Macht zusteht. Es wäre verrückt, dieses Prinzip ohne Not aufzugeben.
Bisher konnten Sie und Ihre drei KollegInnen Cem Özdemir, Renate Künast und Jürgen Trittin sich nicht auf eine Wahlkampfaufstellung einigen. Wie lösen Sie das scheinbar unlösbare Problem?
Die Personalfrage sollte - ebenso wie die inhaltliche Debatte - nicht in Hinterzimmerklüngeln entschieden werden. Ich plädiere dafür, eine Urwahl über die Frage der Spitzenformation abzuhalten. Diese Möglichkeit wurde durch Beschluss auf dem letzten Parteitag geschaffen. Dann entscheiden unsere Mitglieder in voller Transparenz darüber, wer die Partei am besten im Bundestagswahlkampf vertritt. Die Basis ist der Souverän der Grünen, sie wird eine kluge Entscheidung treffen. Außerdem können wir nicht glaubwürdig für direkte Demokratie eintreten, wenn wir sie nicht auch in der Partei praktizieren.
Beschädigen Kampfabstimmungen nicht die KandidatInnen?
Das glaube ich nicht. In einer Abstimmung auch verlieren zu können, gehört zur Demokratie dazu. Das wäre ein fairer und offener Wettstreit, an dem sich hoffentlich viele beteiligen würden.
Werden Sie sich selbst zur Wahl stellen?
Ja, ich stelle mich zur Wahl, wenn es um die Besetzung eines Spitzenteams für die Grünen geht.
Was macht Sie zu einer guten Spitzenkandidatin?
Wir sind jetzt hier noch nicht im Bewerbungsverfahren, aber nach acht Jahren als Parteivorsitzende kann meine Art, Politik zu machen, nicht ganz falsch sein.
Wie groß schätzen Sie Ihre Chancen bei einer Urwahl ein?
Da maße ich mir keine Einschätzung an. Über meine Eignung müssten dann ja die Mitglieder entscheiden.
Sind Sie für ein 4er-Team oder für die Tandem-Lösung?
Aus meiner Sicht wäre ein Quartett für uns Grüne eine sehr sinnvolle Aufstellung, weil wir damit unsere personelle Vielfalt zur Stärke bringen können. Vier Spitzenleute mit unterschiedlichen Themenprofilen und Fähigkeiten würden die Breite der Grünen repräsentieren und viele WählerInnen ansprechen können.
Die Realos in der Partei halten vier SpitzenkandidatInnen für nicht kommunizierbar.
Ich weiß, dass es diese Bedenken in Teilen der Partei gibt. Dann bleibt eben das Tandem - quotiert müsste also mindestens eine Frau daran beteiligt sein.
Trittin hat innerparteilich eine starke Position. Wäre ein Duo Roth/Trittin, also zwei Parteilinke, vermittelbar?
Ich glaube, die Flügelzugehörigkeit spielt für viele keine große Rolle, auch unter den Mitgliedern. Und die Menschen in Deutschland interessieren sich völlig zu Recht nicht wirklich dafür, welcher Spitzengrüne welchem Flügel angehört.
Die Grünen wollen in der bürgerlichen Mitte dazugewinnen - und zielen auch auf enttäuschte Konservative, die Öko gut finden. Gewinnen die Grünen in der Mitte mit einer Spitzenkandidatin Roth?
Schauen Sie, ich bin oft in meiner Heimat, in Bayern, unterwegs. Die Menschen denken nicht mehr in Klischees, auch auf dem Land nicht. Außerdem darf man die Spitzenkandidatur nicht überschätzen. Für die Grünen wird immer gelten: Das Programm ist der Star, nicht die KandidatInnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind