Chronologie des Gezänks: Schwarz-Gelb entfesselt Zeitungskrieg
Im Kanzleramt zelebrierten die Parteichefs von CDU, CSU und FDP angebliche Harmonie. Doch draußen befehden sie sich weiter. Eine Chronologie.
Fünfeinhalb Wochen nach ihrem ersten Treffen im neuen Jahr haben sich die Vorsitzenden der drei Regierungsparteien erneut Harmonie verordnet. "Ruhig und konstruktiv" sei der Koalitionsgipfel von CDU, CSU und FDP am Vorabend im Kanzleramt verlaufen, versicherten die Beteiligten am Donnerstag. Bei den Themen Hartz IV und Atompolitik sollen die Grundsatzdebatten aufhören, wie im Januar bei der Steuerpolitik. "Zügiger und konkreter" soll die Arbeit vorangehen. Eine Chronik von 24 harmonischen Stunden:
Mittwoch, 16.17 Uhr: Knapp drei Stunden vor Beginn des Treffens verbreiten die Nachrichtenagenturen Auszüge aus einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem die CDU-Vorsitzende Angela Merkel ihren FDP-Kollegen Guido Westerwelle kritisiert. Mit seiner Hartz-IV-Schelte habe Westerwelle den Eindruck erweckt, "es werde etwas ausgesprochen, was nicht selbstverständlich ist, als gebe es ein Tabu". Die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber unkooperativen Arbeitssuchenden in Deutschland zählten "schon heute zu den strengsten in der EU".
Mittwoch, 19.00 Uhr: Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer sitzen im Kanzleramt und warten bei alkoholfreiem Bier auf Westerwelle. Dessen Büro hat mitteilen lassen, der Parteivorsitzende verspäte sich um einige Minuten. Damit, dass Westerwelle nach Lektüre des Merkel-Interviews angeblich eine Absage des Treffens erwog, hat das selbstverständlich nichts zu tun.
Mittwoch, 19.01 Uhr: Im Kanzleramt ist Westerwelle noch immer nicht erschienen, stattdessen geht eine Vorabmeldung der Welt über die Agenturen. In dem selben Blatt, in dem der FDP-Vorsitzende zwei Wochen zuvor über "spätrömische Dekadenz" lamentiert hatte, polemisiert er gegen seine Kritiker und damit auch gegen Merkel. "Wir zahlen alle gerne Steuern für Bedürftige, aber eben nicht für Findige", schreibt er. "Wie weit muss man eigentlich der Linkspartei hinterhergerutscht sein, dass man Leistungsgerechtigkeit für rechtsradikal hält?"
Mittwoch, 22.00 Uhr: Nach rund drei Stunden verlassen die Parteichefs das Kanzleramt. Anders als beim ersten Treffen setzen sie die Zusammenkunft nicht in einem öffentlichen Lokal fort. Gegessen haben sie schon im Kanzleramt, es gab wieder Rindfleisch, diesmal aber nicht roh. Man habe sich auf ein Ende der Grundsatzdebatten verständigt, heißt es. Jetzt solle konkret gearbeitet werden.
Donnerstag, 9.30 Uhr: Seehofer tritt in der bayerischen Landesvertretung vor die Presse. Er macht klar, dass es die von der FDP gewünschte Umstellung der Krankenversicherung auf eine Kopfpauschale nicht geben werde. Allein die Umstellung des Arbeitnehmeranteils erfordere einen Sozialausgleich in Höhe von 21 Milliarden Euro, rechnet Seehofer vor. Stattdessen müsse man im Gesundheitssystem die Ausgaben begrenzen. Gegen die FDP, die Ärzte und Apotheker zu ihren treuesten Wählern zählt, richtet sich das natürlich nicht.
Donnerstag, 10.15 Uhr: Der Bundestag debattiert auf Antrag von Grünen und Linke über Hartz IV. Überraschend ergreift Westerwelle das Wort, am Vortag war er der Debatte noch ausgewichen. "Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet", sagt er. Seinen Kritikern wirft er "Einseitigkeit" vor. Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) redet. Sie warnt davor, Hartz-IV-Empfänger unter Generalverdacht zu stellen. Den jeweils anderen können sie nicht meinen, in der Koalition herrscht ja Harmonie.
Sonntag, 21. März: Die drei treffen sich erneut zum Koalitionsgipfel, zum dritten Mal in diesem Jahr. Zu einem "ganz normalen Routinetreffen", wie Seehofer sagt. Auf Nachfrage fügt er hinzu, vor 1998 sei das Bündnis mit der FDP "sogar ein Stück schwieriger" gewesen als heute, Koalitionen seien "per se schwierig".
Die großen drei aßen wieder Rindfleisch. Diesmal war es allerdings nicht roh
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken