Christoph Biermann: In Fußballand
■ Im Bett mit Franz Beckenbauer und dem neuen "Franz TV"
Bzzz, bzzz. Es ist 4.48 Uhr. Offensichtlich in der Nacht, denn ich liege im Bett. Und warum bin ich wach, gerade habe ich doch geträumt, oder nicht? Bzzz, bzzz. Die letzte Mücke des Sommers surrt durchs Schlafzimmer und ist selbstverständlich, kaum ist das Licht angeschaltet, nicht mehr zu sehen. Doch, da! Klatsch! Gestochen hat sie mich auch schon, den Blutfleck wische ich morgen früh ab. Wo war ich nochmal stehengeblieben?
Bei Franz Beckenbauer? Es dämmert mir, daß der Kaiser in meinem Traum zu Gast gewesen ist. Um es genauer zu sagen: Ich habe ihn dort im Fernsehen gesehen, bevor mich dieses bzzz, bzzz geweckt hat. Der Franz, man nennt ihn dieser Tage gerne vertraulich mit dem Vornamen und benutzt dazu nicht selten den bestimmten Artikel, der Franz im Fernsehen, das kennt man ja. Aber diesmal war es anders als sonst.
Wie immer hat der Franz geredet und dabei gemessenen Blickes durch seine blaugetönten Brillengläser geschaut. Und daß seine Haare inzwischen richtig grau sind ist auch nichts Neues. Na vielleicht, daß sie etwas schütterer geworden sind.
Der Franz jedenfalls sitzt jetzt dort und redet, im Studio hinter ihm Bilder und kleine Filme: Franz als Trainer, als Präsident, als Golfer, als Opernbesucher. Seltsam nur, daß der Franz dort in meinem Traumfernseher ganz allein sitzt, es gibt niemanden, der ihm Fragen stellt. Natürlich redet er über Fußball, was ein weites Feld ist, und Franz schreitet es zunächst ab wie den Rasen des römischen Olympiastadions nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft vor acht Jahren. Gemessen, würdig, fast etwas versunken. Aber bald werden ihm alle fünf bis zehn Minuten neue Zettel angereicht. Der Franz läßt sich nichts anmerken und spricht weiter, während er die Blätter überfliegt.
Plötzlich versteht man: Diese Zettel sind Abschriften dessen, was er einige Zeit zuvor in der Sendung gesagt hat. Dann wird ihm auch noch seine aktuellste Kolumne aus Bild gegeben, für die er das Programm sogar einen Moment unterbricht. Offensichtlich interessiert ihn wirklich, was er da geschrieben hat. Die Regie überbrückt diese Lücke und spielt auf dem Bildschirm hinter Franz seine Analysen bei RTL und Premiere ein. Und dann setzt der Franz noch einmal neu an, um Stellung zu sich zu beziehen. Und so dementiert oder korrigiert oder verstärkt der Franz den Franz und kommt immer mehr in Schwung.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob im Bildschirm oben ein eigenes Logo eingeblendet war. Aber es kommt mir vor, als wäre ich bei „Franz TV“ gelandet. Womit der Franz also nicht etwa nur eine eigene Sendung, sondern scheinbar gleich einen Sender ganz für sich hatte. Eine tolle Geschäftsidee! Die Kosten sind minimal, wenn man einmal vom Honorar für den Franz absieht. Ein Studio, Kameramann, Regisseur, ein paar Helfer und Assistenten. Und den Franz wollen doch alle.
Immer klarer wird, was der wahrhaft genialische Clou an „Franz TV“ ist. Je länger der Franz dort sitzt und redet, um so deutlicher gerät das Dauerprogramm in eine Art von Schleifenbewegung. Immer mehr greift alles ineinander. Die Dementis, Korrekturen oder Verstärkungen des Vorherigen, die alten Fernsehauftritte, alles kann von Franz erneut dementiert, korrigiert und verstärkt werden. Und: Es wird nie enden. Endlich sind all seine Kolumnen, Expertisen, Stellungnahmen, Interviews, Meinungsäußerungen und deren umgehende Dementierungen oder Modifizierungen wunderbar ineinander verschlungen aus der Wirklichkeit in eine traumhafte Perfektion gebracht.
Für immer Franz, schießt es mir durch den Kopf und ich schaue auf den Wecker, der 4.52 Uhr in der Nacht anzeigt, und ich wünschte, ich wäre nicht allein und wenigstens die Mücke noch da.
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