Christliche Gewerkschaften: Lohndrücker im Namen Gottes
Christliche Gewerkschaften drücken die Leiharbeiterlöhne. Jetzt ziehen Betroffene vor Gericht, der Ausgang wird in jedem Fall weitreichende Folgen haben.
Gioacchino di Maggio ist sauer. "Wir Leiharbeiter wissen, dass wir immer zu wenig Lohn bekommen. Aber so wenig?" Der 52-Jährige ist nicht gut auf seinen Arbeitgeber, das Leiharbeitsunternehmen RLP aus Hagen, zu sprechen.
Sechzehn Monate schickte ihn RLP zu einer Stahlbaufirma. Di Maggio war dort Kranführer und Gabelstaplerfahrer, trotzdem wurde er in der untersten Lohngruppe "einfache Helfertätigkeit" geführt. Er bekam 7,21 Euro brutto, mit Zulagen 10,50 Euro. "Herr di Maggio und seine Kollegen haben aber auch höhere Tätigkeiten ausgeführt", erklärt Christian Iwanowski von der IG Metall. "Sie wurden falsch eingruppiert." Mit Unterstützung der Gewerkschaft zog di Maggio mit seinen Kollegen vor Gericht. Ihr Ziel: Lohnnachzahlung.
Ist die CGZP tariffähig?
Die Leiharbeiter: Vor der Wirtschaftskrise gab es in Deutschland 800.000 Leiharbeiter. 300.000 von ihnen wurde bis Mai 2009 gekündigt. Seit Juni steigt die Anzahl der Leiharbeiter wieder.
Die Verleiher: Leiharbeit ist eine gute Einnahmequelle: Die Bundesagentur für Arbeit registrierte im Dezember 2008 bundesweit über 25.000 Verleihbetriebe.
Leiharbeit in Frankreich: Man kann Leiharbeit auch anders regeln: In Frankreich ist das Equal-pay-Gebot ohne Ausnahme durchgesetzt. Leiharbeiter erhalten dort zudem einen 10-prozentigen Lohnaufschlag, die "Prekaritätsprämie". (taz)
Die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) wurde 2002 als Dachorganisation gegründet. Zunächst waren dort sechs Gewerkschaften organisiert. Derzeit sind es drei: der Christliche Gewerkschaftsbund Metall (CGM) mit ca. 60.000 Mitgliedern, die Berufsgewerkschaft DHV (ca. 80.000 Mitglieder) und die Gewerkschaft öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD), ca. 50.000 Mitglieder. Unklar ist, wie viel Leiharbeiter dort organisiert sind. Experten halten die Zahl für gering. Allerdings sind Leiharbeiter insgesamt schlecht organisiert. (taz)
Die könnte höher ausfallen, als die Leiharbeiter hofften. Denn es geht nicht nur um deren Eingruppierung. Zweifel gibt es auch, ob die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP), die als Arbeitnehmervertretung für di Maggio und seine Kollegen die Verträge mit abschloss, eine Gewerkschaft ist - und damit tariffähig.
Seit 2008 beschäftigen sich Gerichte mit der Frage, ob die CGZP Arbeitnehmerinteressen verfolgt. Für Peter Schüren, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Münster, ist klar: "Die CGZP versorgt Arbeitgeber mit Wunschtarifverträgen." Dank der CGZP seien extreme Lohnsenkungen möglich.
Egal, wie der Fall ausgeht, er hätte weitreichende Folgen: Gewinnt die CGZP, erhält eine systematische Praxis des Lohndumpings grünes Licht. Verliert die CGZP, können alle Leiharbeiter, die unter CGZP-Verträgen gearbeitet haben, Lohnsummen nachfordern. Und die Sozialversicherungsträger könnten auf die Zahlung der entgangenen Beiträge pochen. Das könnte eine erkleckliche Summe sein. Peter Schüren hat ausgerechnet, dass das bei geschätzten rund 200.000 Leiharbeitern, die seit 2003 nach CGZP-Tarif bezahlt werden, rund eine halbe Milliarde Euro an Krankenkassen-, Renten-, Arbeitslosen und Pflege- und Unfallversicherungsbeiträgen pro Jahr sind.
An diesen Summen ist man auch in Berlin interessiert. "Es geht uns dabei um sozial- und finanzpolitische Aspekte", betont Carola Bluhm, Senatorin der Linkspartei für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin. Auf Betreiben ihrer Amtsvorgängerin und Parteikollegin Heide Knake-Werner kam im Jahr 2008 ein Statusfeststellungsverfahren über die Tariffähigkeit der CGZP zustande, dem sich auch die Gewerkschaft Ver.di anschloss. Es soll voraussichtlich noch im Dezember in zweiter Instanz entschieden werden.
Warum kein anderes Bundesland oder der Bundesarbeitsminister schon früher das Verfahren anschob, kann oder mag Carola Bluhm nicht beantworten. "Aber es wird in den anderen Bundesländern aufmerksam beobachtet." Warum das der Berliner Senat angestoßen hat? "Wir nehmen unser übergeordnetes Wächteramt wahr", sagt Bluhm. Schließlich müsse das Land Niedrigverdienern als Aufstocker etwas dazuschießen. Hinzu kämen die durch Niedriglohn bedingten Ausfälle bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Der Vorwurf, sie greife in die Tarifautonomie ein, gelte nicht: "Gerade weil die Tariffähigkeit ein so hohes Gut ist, muss man eingreifen. Und als oberste Landesarbeitsbehörde steht es uns zu, eine Prüfung der Tariffähigkeit anzustoßen."
Bei der CGZP sieht man der Prüfung gelassen entgegen. "Aussagen über den Ausgang in der zweiten Instanz sind reine Kaffeesatzleserei", sagt Gunter Smits, Vorsitzender der CGZP. Doch Smits Optimismus wirkt bemüht. Würde die CGZP den Prozess auch in letzter Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht verlieren - und bis dorthin will Smits notfalls ziehen -, kann sie mit dem Zorn der Arbeitgeber rechnen. Denn dann müssen die Verleiherfirmen für die Zahlung der Differenz zwischen den Leiharbeiterlöhnen und den Löhnen der Stammbelegschaft sowie für die höheren Sozialbeiträge aufkommen. Haben sie das Geld nicht, müssen die Entleihbetriebe zahlen. Kein schönes Szenario für die CGZP.
Verhängnisvolle Reform
Ihre Geschichte ist eng verwoben mit der Reform der Leiharbeit. Als 2002 unter der Rot-Grün die Arbeitnehmerüberlassung neu gestaltet wurde, verankerte die Regierung im Gesetz einen Satz, der sinngemäß lautet: Leiharbeitnehmer haben Anspruch auf gleiche Entlohnung und Behandlung wie die Stammbelegschaft - außer es existiert ein anderslautender Tarifvertrag. "Da haben wir das Scheunentor für Billiglöhne weit aufgemacht", gesteht die SPD-Bundestagsabgeordnete Anette Kramme heute.
Die Folgen ließen nicht auf sich warten: Bereits 2002, noch bevor das neue Leiharbeitsgesetz 2003 in Kraft trat, gründete sich unter dem Dach des Christlichen Gewerkschaftsbunds (CGB) die CGZP. Im Jahr 2003 schließt sie ihren ersten Tarifvertrag ab. Drei Flächentarifverträge und über 200 Haustarifverträge sind es bis vor Kurzem noch gewesen.
Arbeitsrechtler Schüren hat sich damit beschäftigt. "Die eigentliche Musik spielt auf dem Feld der Haustarifverträge", sagt er. "Die sind noch einmal erheblich schlechter als die CGZP-Flächentarifverträge." Stundenlöhne von 4,81 Euro scheint man bei der CGZP für zumutbar zu halten. Die Kostensenkungsstrategie im Sinne des Arbeitgebers funktioniere aber nicht mehr allein über niedrige Stundenlöhne. Vielmehr setze die CGZP auf eine Kombination unterschiedlicher Elemente zur Kostensenkung. So wird zum Beispiel vertraglich festgelegt, den vollen Lohn erst nach sechsmonatigem Arbeitseinsatz zu zahlen. In der Zeit davor können Abschläge von bis zu 9,5 Prozent greifen. Das Perfide: 50 Prozent aller Leiharbeitsverhältnisse bestehen laut Bundesagentur für Arbeit nur für drei Monate. Oder der Lohn, der in verleihfreien Zeiten oder bei einer Kündigung noch gezahlt werden müsste, wird durch ausgeklügelte Arbeitszeitmodelle auf null reduziert. Die Liste der Methoden zur Verbilligung von Leiharbeit ist lang.
Daher ist Arbeitsrechtler Schüren für den Ausgang des Verfahrens optimistisch: Die CGZP vertrete keine Arbeitnehmerinteressen. Auch das Arbeitsgericht Berlin sah das in seinem erstinstanzlichem Urteil vom April so. Das von der CGZP vorgebrachte Argument, die hohe Zahl der Tarifverträge spreche für ihre Tariffähigkeit, akzeptierten die Richter nicht. Denn für die Leiharbeit würden besondere Regeln gelten: Wegen des normalerweise greifenden Equal-pay-Gebots habe die Arbeitgeberseite ein großes Interesse daran, Tarifverträge abzuschließen. Doch nach Meinung der Richter ist die CGZP tarifunfähig, weil sie keine "soziale Mächtigkeit" besitzt.
Diese ist aber, so hat es das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzentscheid festgehalten, Voraussetzung für eine funktionierende Tarifautonomie: Gewerkschaften müssen gegenüber Arbeitgebern Druck ausüben - aber auch Druck widerstehen können. Das heißt: Tarifverträge müssen ausgehandelt werden, und nicht von Arbeitgebern diktiert. Für Schüren, die SPD-Abgeordnete Kramme und den Berliner Senat kommt es im Fall CGZP jetzt vor allem auf die Sozialversicherer an. Die seien zum Handeln aufgefordert: Die ersten Ansprüche auf Nachzahlung von Beiträgen sind bereits verjährt. Ende 2009 könnten weitere rund 500 Millionen Euro aus dem Jahr 2005 folgen, sagt Schüren. Um Verjährungen zu verhindern, die im Fall der Sozialversicherer nach vier Jahren eintreten, wäre nicht viel nötig: Die Deutsche Rentenkasse Bund müsste Betriebsprüfungen bei den Verleihern einleiten, die mit CGZP-Tarifen arbeiten. Dazu sieht man bei den Sozialversicherern keinen Anlass. In einer der taz vorliegenden Erklärung argumentiert der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen zusammen mit der Deutschen Rentenversicherung Bund, die Sozialversicherer hätten sich "neutral zu verhalten". Es gebe keine "Entscheidungskompetenz der Einzugsstellen oder Prüfdienste, eine Vereinigung, die Tarifverträge abgeschlossen hat, von sich aus als tarifunfähig zu befinden".
Träge Sozialversicherer
Für den Arbeitsrechtler Schüren zieht das nicht. "Es geht nicht darum, dem Statusverfahren vorzugreifen oder jetzt schon Ansprüche geltend zu machen. Aber die Träger müssen die Geltendmachung für den Fall der Fälle vorbereiten."
Warum die Sozialversicherungsträger nicht reagierten? "Zum einen bedeutet das Ganze einen enormen Arbeitsaufwand. Anscheinend traut man sich aber auch nicht, das damit verbundene Signal gegen diesen Missbrauch der Tarifautonomie zu geben", sagt Arbeitsrechtler Schüren. Senatorin Bluhm kritisiert: "Man redet viel von der Verantwortung der Arbeitnehmer oder Arbeitslosen. Aber auch die Sozialversicherungsträger haben diese Verantwortung. Es ist ihre Pflicht, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Wenn die Ansprüche flöten gehen, müssen sie sich rechtfertigen."
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