Christa Wolfs Briefwechsel mit Reimann: Analog ist besser
Der Briefwechsel der Autorin mit Brigitte Reimann ist ein Dokument intensiver Zugewandtheit in vollendeter sprachlicher und gedanklicher Form.
Unvorstellbar, dass Brigitte Reimann und Christa Wolf sich gegenseitig E-Mails geschrieben hätten. Zumindest nicht in der Form und Ausführlichkeit, in der ihr Briefwechsel vor sich ging, der bereits in den neunziger Jahren in Auszügen veröffentlicht wurde. Jetzt erscheint er in erweiterter Form neu. Dahinter steht Christa Wolfs Witwer Gerhard Wolf, der im Vorwort zu „Sei gegrüßt und lebe“ bekennt, er selbst könne sich rühmen, den Anstoß gegeben zu haben zu der umfangreichen Korrespondenz, die die beiden Autorinnen in den letzten Lebensjahren Brigitte Reimanns führten. Reimann starb 1973, im Alter von 39 Jahren, an Krebs. Christa Wolf kannte sie persönlich seit einer gemeinsamen Moskaureise einer Schriftstellerdelegation im Jahr 1963. Damals notierte Reimann in ihr Tagebuch: „Christa ist so ein Mensch, dem man alles sagen kann, und man weiß es bewahrt.“
Sporadisch gingen seitdem schriftliche Grüße, meist in Form von Postkarten, zwischen den Autorinnen hin und her. Doch erst nachdem Gerhard Wolf 1968 zu einer Lesung in Hoyerswerda war, wo Reimann damals lebte, und nach seiner Rückkehr von dem positiven Eindruck sprach, den die Kollegin bei ihm hinterlassen habe, korrespondierten die beiden Frauen in einer Ausführlichkeit und mit einer intensiven Zugewandtheit, die aus heutiger Sicht anachronistisch erscheint – jedenfalls was die schriftliche Kommunikation betrifft. Welch Kulturverlust es doch ist, dass man keine Briefe mehr schreibt.
Allerdings ist diese Korrespondenz natürlich auch für damalige Verhältnisse kein Maßstab für durchschnittliche Briefeschreiber. Auch auf der persönlichen Ebene stets eine vollendete sprachliche und gedankliche Form zu wahren war für beide schließlich eine Frage der Berufsehre. Fragen der äußeren Form – auf die Christa Wolf im Übrigen weit häufiger eingeht als Brigitte Reimann – sind dabei keineswegs unwichtig. Während Reimann in der Regel umstandslos zur Sache kommt, pflegt Christa Wolf es sogar zu kommentieren, wenn ihr Brief von der erwartbaren äußeren Gestalt abweicht – sie erwähnt etwa entschuldigend, auf diesem kleinen Zettel schreibe es sich einfach zu gut, oder sie weist darauf hin, dass sie Büttenpapier benutzt habe, um Brigitte Reimann angemessen feierlich zur Heirat (der vierten) zu gratulieren.
Dass man per Hand schreibt, versteht sich von selbst. Benutzt man die Schreibmaschine, bedarf dies einer Erklärung – oder sogar einer Entschuldigung, wie Brigitte Reimann wähnt, die wortreich ihrer Hoffnung Ausdruck gibt, durch den Einsatz der Maschine in den Augen der Adressatin nicht an Achtung zu verlieren.
Kleine rührende Dinge
Diese kleinen, an die Beziehungsebene rührenden Dinge sind es, die die Lektüre so spannend machen, fast mehr noch, als anhand der Briefe und Tagebucheinträge (die klug sporadisch eingestreut sind, mal um Lücken in der Korrespondenz zu füllen, mal weil sie Briefinhalte kommentieren) die kulturpolitischen Zeitläufte zu verfolgen. Das kann man aber sehr gut tun, wenn man emsig zwischen dem Briefteil und dem Anhang hin und her blättert, in dem die zahlreichen historischen Anspielungen erläutert werden. Da sich die beiden Autorinnen politisch auf einer Linie wissen (unter anderem war es Reimanns klar ablehnende Haltung zum Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag 1968, die ihr Gerhard Wolfs Sympathien eintrug), finden politische Diskussionen zwischen ihnen nicht statt. Wer auf welchen PEN-Vorstandssitzungen anwesend war und was gesagt wurde, ist dagegen ein stetig wiederkehrendes Thema.
Vor allem ist es das Auf und Ab in Brigitte Reimanns Leben, das den Briefwechsel thematisch bestimmt, ihr so abwechslungsreiches wie unglückliches Liebesleben und ihr Gesundheitszustand. Je schlechter es ihr geht, desto länger werden die Briefe, die Christa Wolf ihr schreibt.
B. Reimann, C. Wolf: „Sei gegrüßt und lebe. Eine Freundschaft in Briefen und Tagebüchern“. Aufbau, 2016, 270 S., 21,95 Euro.
Am Ende liegt Reimann im Klinikum Buch bei Berlin, wo die Kollegin sie bis zum Schluss regelmäßig besucht. Wolf versuchte sogar – welch wundervolle Geste – kurz vor Reimanns Tod herauszufinden, wie das ungeschriebene letzte Kapitel von „Franziska Linkerhand“, Reimanns magnum opus, aussehen sollte: „Ich befrage sie danach, weil irgendeiner ja den Schluß an ihrer Stelle wird machen müssen“, notiert sie am 16. 2. 1973 in ihr Tagebuch. Da hatte Reimann schon Visionen (“Die Schwester sagt, es gebe Veränderungen im Gehirn“). Vier Tage später war sie tot. Christa Wolf hat „Franziska Linkerhand“ bekanntlich nicht zu Ende geschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!