piwik no script img

Christa Pfafferott Zwischen MenschenAus der Not heraus

Foto: privat

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentar-filmerin. Sie hat über Macht-verhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Nah des Zentrums wird der Tausch von Sex gegen Geld, und zwar im allermeisten Fall der Sex von Frauen gegen das Geld von Männern, in den Städten angeboten, in denen ich gewohnt habe. In Hamburg ist das so, und auch in Stuttgart. Vor ein paar Tagen habe ich mit einer Gruppe Studierender über das Rotlichtviertel in Stuttgart geschrieben. Eine Mitarbeiterin von einer Anlaufstelle für die Menschen, die dort arbeiten, hat es uns aus ihrer Perspektive gezeigt. Und auch wenn es an jedem Ort anders ist, betrachte ich das Tauschgeschäft von Sex gegen Geld in Hamburg und anderen Städten seitdem aus neuer Sicht.

Das Rotlichtviertel in Stuttgart liegt nah am Rathaus und Schlosspark, umrahmt von gutbürgerlichen Restaurants. Als wir durch die Straßen laufen, lässt der Tag den Ort trostlos aussehen: „Girls Girls Girls“ oder „Eros“ leuchtet an den Häusern. Manche Fassaden bröckeln. Ein, zwei Gesichter schauen hinter den Fenstern hervor.

Die Mitarbeiterin erläutert diese Welt mit Zahlen, die sie kennt: 30 Euro kostet einmal Geschlechtsverkehr. Dafür ist 20 Minuten Zeit. Zusatzleistungen bringen mehr Geld. Den Preis zu drücken, ist verpönt. 150 Euro kostet die Miete für das Zimmer an einem Tag. Fünf Männer braucht es für die Miete. Erst nach den fünf Männern kommt das Geld für Zigaretten, für Kaffee, für die Kinder hier zu Hause oder in der Heimat.

Geld. Geld. GELD. Das Wort scheint hier alles zu durchdringen, die Häuser, die Köpfe, die Herzen, die Sprache. Das Wort GELD könnte in hellen Leuchtbuchstaben mitten auf der Straße stehen. So sperrig, dass jeder darüberklettern müsste, der hier ins Viertel will.

„Armutsprostitution“. Das Wort benutzt die Mitarbeiterin der Anlaufstelle für das Viertel. Prostitution, nicht Sexarbeit: „Bei Sexarbeit wird der Sex wie eine Arbeit definiert, die wie jede andere sei. Bei Prostitution gehen wir davon aus, dass es die Frauen nicht freiwillig machen. Sie machen es eher aus der Not heraus.“

Die Mitarbeiterin kennt viele der sogenannten Laufhäuser mit den kleinen Zimmern von innen. Viele Frauen haben einen Arbeitsnamen und ihren richtigen Namen, den sie ihr manchmal nennen. Die Mitarbeiterin sucht die Frauen auf, verteilt Kondome, sagt ihnen auch, es gibt Alternativen, wenn du das hier nicht mehr machen willst. Wir helfen beim Ausstieg.

Vor einem Laufhaus sagt sie: „Hier windet sich eine Treppe eng hinauf im Kreis. Die Flure oben sind dunkel. Da ist es etwas unheimlich.“ Die Mitarbeiterin hält während des Gesprächs ihren Schlüsselbund mit einem roten Herz in der Hand, als müsste sie etwas auf- oder zusperren. Etwas mit den Räumen machen. „Das hier ist eine Zuhälterbar, wo sich oft die Zuhälter der Frauen treffen“, sagt sie. Auf einen der Stühle im Schaufenster steht ein Kinderautositz.

Wie es ihr mit ihrem Beruf geht? „Ich bin schon auf dem Boden aufgeprallt“, sagt sie. „Wo viel Not ist, da wird sie auch ausgenutzt. Nicht alle, aber viele Frauen kommen aus anderen Ländern, sind arm, haben keine soziale Absicherung. Manche Frauen werden auch von ihren Partnern hierzu angehalten.“ Während sie spricht, blickt die Mitarbeiterin um sich, ob sie keiner aus den Fenstern hört. „Aber es zeigt sich auch, wenn wir mit den Frauen zu Ämtern gehen, dass manche dort flexibel sind und helfen, das gibt Hoffnung.“

„Ich bin schon auf dem Boden aufgeprallt“, sagt sie. „Wo viel Not ist, da wird sie ausgenutzt“

Es sei jedoch schwer für die Frauen rauszukommen, wenn sie einmal mit diesem schnellen Geld begonnen haben. Die Zimmermiete muss bezahlt werden, Schulden. Das sei ein Teufelskreis. Aussteigen bedeutet oft auch das erste Mal eine Krankenversicherung, eine eigene Wohnung, eine Sozialversicherungsnummer zu besitzen, was viele Frauen in diesem Viertel nicht haben. Jedem, der diese Häuser hier als Freier betritt, müsse das bewusst sein, sagt sie.

„Prostitution ist eine Geldmaschinerie, ein riesiger Industriezweig, in dem wahnsinnig viel Geld unterwegs ist. Am wenigsten davon bleibt hier bei den Frauen übrig. Die Armut ist die Wurzel für das.“ Die Mitarbeiterin zeigt mit ihrem Schlüssel um sich: „Solange Armut existiert, wird es das hier geben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen