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Choreografie des Erhabenen

Zivilisationsskepsis revisited: Godfrey Reggios Koyaanisqatsi im 3001  ■ Von Alexander Diehl

Am Anfang steht eine Erscheinung. Aus horizontalen roten Strichen vor schwarzem Hintergrund werden Buchstaben: das Wort „KOYAANISQATSI“. Was es – in der Sprache der Hopi – bedeutet, wird der Zuschauer erst am Ende erfahren: „Crazy Life“ heißt es da (im Original) als mögliche Übersetzung, „World Out of Balance“ oder auch „A State of Life That Calls for Another Way of Living“.

Es sind – inhaltlich – diese Konnotationen von Missstand und Verirrung und der Notwendigkeit einer Umkehr, die Godfrey Reggios experimentellen Dokumentarfilm Koyaanisqatsi bei Erscheinen 1982 zu einer Sensation für Fortschrittsskeptiker und eine – nicht erst rückblickend naiv anmutende – „Zurück zur Natur“-Idee gemacht haben mögen: Denn das Leben, das da als aus der Balance geraten gezeigt wird, ist die westliche Zivilisation, überwiegend identifiziert übrigens mit den USA, wahrgenommen in einer Zeitrafferperspektive. Ihr gegenüber gestellt wird in der Eingangssequenz eine Idylle, die vom Menschen unberührte Welt.

Das eigentlich Sensationelle ist nicht diese anders womöglich effizienter zu transportierende Idee. Es ist die – für das Zeitalter des Tonfilms – einzigartig kompromisslose filmische Umsetzung: Koyaanisqatsi kommt – abgesehen vom anfangs wiederholt gebrummelten Titel – ohne das gesprochene Wort aus, auch bildsynchrone Geräusche sind nur an einzelnen Stellen zu hören. Der Film ist eine gleichermaßen atemlose wie bildgewaltige Choreografie aus Dokumentaraufnahmen, wie sie heute gerne zitiert wird in den Werbespots von Fluggesellschaften, Internetdienstleis-tern und anderen Agenturen des globalisierten Erlebnisses, strukturiert durch die (beinahe) ununterbrochene Minimal Music von Philip Glass, der durch die Zusammenarbeit – übrigens sein Bruch mit der eigenen Maßgabe, keine Filmmusik zu schreiben – beträchtliche Popularität erlangte.

Reggio und Glass wiederholten ihre Zusammenarbeit bei der Fortsetzung Powwaqatsi sowie dem kürzeren Film gleicher Machart Anima Mundi. Vor einigen Jahren veröffentlichte der Komponist mit einigem Stolz erstmals eine Neuauflage der Musik, inklusive der bisher nicht auf dem Album erschienenen Teile.

Gleichermaßen gerahmt und vorangetrieben von Glass' typisch pulsierenden Keyboard- und Orchesterphrasen und quasi-gregorianischen Chören bekommen wir in damals ungewohnter Weise eigentlich zur Genüge Bekanntes zu sehen: Maschinen, Häuser, ameisengleich hastende Menschen, großstädtische Verkehrsströme oder auch Weltraumraketen, die kurz nach dem Start explodieren.

Dass die vermeintlich vor dem Menschen liegende Idylle bereits dessen Spuren trägt und die zu Grunde gelegte Opposition zwischen Natur und Kultur imaginär ist, um diese vielleicht zentrale Paradoxie dreht sich der Film: Auf spektakuläre Aufnahmen der schattenumspielten Canyons des Monument Valley, wellenförmige Muster im Wüstensand oder Wolken, die über Bergkämme zu fluten scheinen, folgt da die eigentümliche Ornamenthaftigkeit regelmäßig angelegter Felder. Vor allem aber bleibt die Darstellung des zu entlarvenden Irrwegs ambivalent: Die rasanten Schattenspiele auf den gläsernen Großstadt-Fassaden oder die nicht endenden Autokolonnen werden in Zeitraffer oder Vogelperspektive in erhabener Aura und schlichter Schönheit den Gesteinsformationen und Wolkengebirgen durchaus ebenbürtig in Szene gesetzt. Lange Einzel- und Gruppenportraitaufnahmen nähern sich respektvoll unbekannt bleibenden Protagonisten des zivilisatorischen Rat race – Kampfjetpiloten, Kellnerinnen – und betonen die ganz eigene Schönheit des Menschen, eben nicht nur erdverschlingender Teufel.

Regisseur, Autor und Produzent Reggio, der in den 90er Jahren Kopf eines vom umstrittenen Benetton-Konzern finanzierten Think tanks wurde, brauchte rund sechs Jahre und erhebliche Überredungskünste bei verschiedenen Unterstützern – darunter insbesondere Francis Ford Coppola, der im Anschluss an das New York Film Festival 1982 offizieller Präsentator des Filmes wurde – für die Entstehung von Koyaanisqatsi. Neben allmählich sich konkretisierenden Anstrengungen, die Qatsi-Trilogie mit dem Projekt Naqoyqatsi zu vervollständigen, verfolgen Reggio und Mitstreiter derzeit auch eine Kampagne, die zur Freigabe der Video- und DVD-Vermarktungsrechte führen soll, damit der zurzeit nicht erhältliche Film wieder vertrieben werden kann. Mit der altmodischen Projektion auf der Kinoleinwand indes werden die Heimformate kaum konkurrieren können, zumal mit der jetzt gezeigten nach langem wieder eine aufgefrischte Verleihkopie zu haben ist.

täglich, 20.30 Uhr, 3001

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