Chinesischer Post-Western „Black Dog“: Schweigsame Gefährten
Guan Hus „Black Dog“ ist ein melancholischer Spielfilm. Er nutzt das Genre des Western für ein Porträt von Marginalisierten in der chinesischen Wüste.
Die Landschaft selbst hat bereits so viel Charakter, dass man mit der ersten Szene schon mitten in einer Geschichte ist. Ein Kameraschwenk offenbart grauschwarze Hügel, auf denen wenig wächst, dazu bilden weite, einsame Täler mit hellem Geröll einen reizvollen Kontrast. Wie in ironischer Anspielung auf den Western bewegen sich ein paar rollende Disteln durchs Bild, und dann erscheint in ausgeblichenem Blau ein Farbpunkt auf der staubigen Straße, die diese wundersame Wüstenlandschaft durchquert.
Aber kaum hat der Bus die Mitte des Bildes erreicht, wird er angegriffen – nicht etwa von berittenen Indigenen, sondern von einer Horde Hunde, die den Hügel heruntergaloppieren und den Fahrer so erschrecken, dass er mit einer Vollbremsung den Bus umkippt. Unter viel Gezeter und Geschimpfe – „Früher war hier eine Stadt, heute gibt es nur noch streunende Hunde!“ – entsteigen die unverletzten Fahrgäste dem Wrack, darunter Lang (Eddie Peng), der seinen Hauptrollencharakter gleich schon damit unterstreicht, dass er ostentativ schweigt.
Der chinesische Regisseur Guan Hu, der mit „Black Dog“ in diesem Jahr in Cannes den Hauptpreis der Sektion „Un certain regard“ gewinnen konnte, spielt deutlich mit der Ikonografie des Westerns, aber die Hommage an das Vertraute setzt zugleich das Besondere dieser Umgebung ins Bild. Gedreht wurde der Film im Nordwesten Chinas nahe der Wüste Gobi. Hier war einer der Orte, von wo man die Sonnenfinsternis vom 1. August 2008 besonders gut sehen konnte.
Guan Hu nimmt das zum Anlass, seine Erzählung in den Wochen zuvor anzusiedeln. Als man gleichsam an der Seite des stoisch-schweigsamen Lang in die Stadt kommt, beginnt man zu erahnen, warum. Propagandistische Wandgemälde kündigen den baldigen Beginn der Olympischen Spiele im fernen Peking an.
„Black Dog“. Regie: Guan Hu. Mit Eddie Peng, Tong Liya u. a. China 2024, 110 Min.
Aus diversen Radios aber hört man Sprecher die Lage vor Ort in weniger optimistischen Tönen erläutern. Im Zuge einer ominösen „Stadterneuerung“ sollen hier ganze Viertel abgerissen und die Bewohner umgesiedelt werden. Viele Straßen wirken wie geräumt, nur vereinzelt sieht man ein paar alte Menschen oder Sonderlinge herumsitzen. Wovon es viele gibt, zu viele, sind Hunde, die sich in den menschenleeren Blöcken zu einer regelrechten Plage entwickelt haben
Mit seiner Schweigsamkeit und einer gewissen demonstrativen physischen Härte ähnelt Lang den Clint-Eastwood-Figuren aus den 60er-Jahre-Italo-Western. Was es mit ihm auf sich hat, erklärt sich allein durch das, was andere über ihn sagen. Er kommt aus dem Gefängnis, erfährt man durch nebenbei fallen gelassene Bemerkungen der Nachbarn, wo er mindestens zehn Jahre lang als Verantwortlicher für einen Totschlag saß.
Die „Geisterstadt“ ist seine alte Heimat, hier war er gleich in zweifacher Hinsicht berühmt: zum einen als Fahrer von Motorradstunts und zum anderen als Rockmusiker. Viele verehren ihn dafür noch heute – der Mann im Café möchte von ihm kein Geld nehmen und warnt ihn vor dem Metzger Hu, der es immer noch auf ihn abgesehen hätte. Es stellt sich heraus, dass es Metzger Hus Neffe war, für dessen Tod Lang in irgendeiner Weise verantwortlich ist.
Das alles könnte auf eine herkömmliche Resozialisierungsgeschichte hinauslaufen, aber Guan Hu führt an Stelle der im Western üblichen menschlichen Nemesis einen verwilderten Hund als Gegenspieler für Lang ein. Die Feindschaft ist augenblicklich etabliert, als Lang sich an einer Häuserecke erleichtert und mit wütendem Gebell ebenjener Hund herausgeschossen kommt und Lang mit Bisswut vertreibt. Von der Sicherheit des gegenüberliegenden Fensters beobachtet er, wie der Hund daraufhin die von ihm bepisste Ecke seinerseits neu markiert. Es ist eine Annäherung der besonderen Art.
Ein prächtiger Tiger harrt noch im Zoo aus
So stehen gleich zwei Figuren im Zentrum dieser Geschichte, die sich nicht sprachlich äußern, sondern allein über das, was sie tun und wie sie sich verhalten. Das verleiht „Black Dog“ nicht nur einen lakonischen Charme, der an frühe Jim-Jarmusch-Filme erinnert, sondern bündelt die Aufmerksamkeit für all das, was es hier zu sehen gibt in seiner maroden, melancholischen Schönheit. So streift die Kamera durch die verlassenen Wohnblocks der 50er und 60er Jahre, denen der sozialistische Traum eines effizienten Lebens wie eine leere Fratze eingeschrieben ist, oder entlang der Käfige eines alten Zoos, aus dem die Mehrheit der Tiere schon entflohen ist. Ein prächtiger Tiger harrt noch dort aus.
Die Wendungen, die die Freundschaft zwischen Lang und dem persönlichkeitsstarken Hund nimmt, berühren mehr als dessen diverse Erlebnisse mit der örtlichen Mafia (Autorenfilmer Jia Zhangke, der „Black Dog“ mitproduzierte, tritt hier als Schauspieler in Erscheinung) oder die Racheversuche von Metzger Hu. Wie Jia Zhangke in seinen Filmen zeichnet Gua Hu mit seiner Westernallegorie auch ein Porträt der Marginalisierten, die im gewaltigen Transformationsprozess, den China durchläuft, zurückgelassen werden. Das letzte Wort gibt er an Pink Floyd: „Hey, you! Out there on the road!“
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